Die in Winterthur lebende Regisseurin Anna Papst bringt Sylvie Schenks Roman «Maman» erstmals auf die Bühne. Das Stück, eine Eigenproduktion des Kellertheaters Winterthur, beleuchtet die strukturelle Benachteiligung von Frauen über einen Zeitraum von 150 Jahren. Es rekonstruiert die Geschichte einer verstorbenen Mutter durch die Augen ihrer Tochter und enthüllt dabei eine Reihe tragischer Frauenschicksale. Die Inszenierung legt den Fokus auf weibliche Perspektiven und die Bedeutung von Familiengeschichten.
Wichtige Punkte
- Erste Bühneninszenierung von Sylvie Schenks Roman «Maman», der 2023 für den Deutschen Buchpreis nominiert war.
- Regisseurin Anna Papst, ansässig in Winterthur, leitet die Produktion.
- Das Stück thematisiert die Benachteiligung von Frauen von 1871 bis heute.
- Minimalistisches Bühnenbild mit gehäkelten Vorhängen und Livemusik.
- Die Aufführungen finden im Kellertheater Winterthur statt, mit Zusatzterminen im November 2025.
Ein Roman wird zur Bühneninszenierung
Das Kellertheater Winterthur hat seine Saison mit der Premiere von «Maman» eröffnet. Es ist die erste Theateradaption des gleichnamigen Romans von Sylvie Schenk. Der Roman war 2023 für den Deutschen Buchpreis nominiert. Im Mittelpunkt steht eine Erzählerin, die versucht, das Leben ihrer Mutter zu rekonstruieren. Die Mutter hatte über ihre Vergangenheit geschwiegen. Dabei stösst die Erzählerin auf viele tragische Frauenschicksale.
Anna Papst, die Regisseurin, ist für die Bühnenfassung verantwortlich. Sie lebt in Winterthur und inszeniert seit über einem Jahrzehnt Stücke. Ihre Arbeiten waren an Theatern in der Schweiz und Deutschland zu sehen. Dazu gehören das Schauspielhaus Zürich und die Bayerische Staatsoper. Im Interview erklärt sie die Verbindung des Stücks zu Winterthur und die Meinung der 81-jährigen Autorin Sylvie Schenk zur Inszenierung.
Faktencheck
- Sylvie Schenks Roman «Maman» war im Jahr 2023 für den Deutschen Buchpreis nominiert.
- Die Bühnenfassung im Kellertheater Winterthur ist die erste ihrer Art.
- Die Regisseurin Anna Papst hat bereits an renommierten Häusern wie dem Schauspielhaus Zürich gearbeitet.
Dokumentarischer Ansatz und Bühnenbild
Anna Papst ist bekannt für ihre dokumentarischen Theaterabende. Dort bringt sie wahre Geschichten auf die Bühne, die sie durch Interviews sammelt. Sie sieht eine Parallele zu «Maman»:
«Als ich 'Maman' las, hatte ich häufig das Gefühl, ich sässe einer Frau gegenüber, die mir ihre Familiengeschichte erzählt. Und auch der Roman ist dokumentarisch. Sylvie Schenk hat zu ihrer eigenen Mutter recherchiert und deren Vergangenheit rekonstruiert.»
Das Bühnenbild und die Requisiten sind stark reduziert. Dies lenkt die Aufmerksamkeit auf die gehäkelten Vorhänge. Diese hängen in schmalen Bahnen von der Decke. Die Idee für dieses Dekor stammt aus dem Roman selbst. Dort ziehen sich Textilien wie ein roter Faden durch die Geschichte. Es beginnt bei der Arbeit der Grossmutter in der Textilindustrie, geht über das Stricken der Mutter bis zum Weben von Texten durch die Erzählerin.
Die Produktion hatte Glück, gehäkelte Decken von einer Bekannten der Ausstatterin Jana Brändle zu erhalten. Diese Decken sind ein Erbstück von deren Grossmutter, die sie selbst gehäkelt hatte. «Es steckt also viel Frauen- und Familiengeschichte in diesen Stoffen», betont Anna Papst. Dies unterstreicht die Authentizität und Tiefe des Bühnenbilds.
Fokus auf das Hören und die weibliche Perspektive
Die Aufführung lebt hauptsächlich vom Erzählen. Die Schauspielerin Chantal Le Moign rezitiert Textausschnitte. Sie wird dabei von Livemusik und Geräuschen begleitet. Dieser Fokus auf das Hören ist eine bewusste Entscheidung. Anna Papst erklärt:
«Klänge sind immer unsichtbar, aber doch irgendwie greifbar. Das passt ganz gut zur Erzählsituation, wo der verschwiegenen Wirklichkeit nachgespürt wird.»
«Maman» zeichnet die Schicksale der Frauen aus Schenks Familie von 1871 bis heute nach. Solche Geschichten sind laut Papst wichtig, weil die Vergangenheit oft durch männliche Figuren vermittelt wird. In Schenks Roman ist die Perspektive eine weibliche. Anna Papst möchte dieser Perspektive mit ihrer Arbeit eine Bühne bieten. Das Stück macht zudem die strukturelle Benachteiligung von Frauen sichtbar. Ein Beispiel sind uneheliche Schwangerschaften. Männer erlitten dabei keine sozialen Einbussen, während Frauen geächtet wurden.
Hintergrundinformationen
Der Roman «Maman» von Sylvie Schenk ist eine tiefgehende Untersuchung weiblicher Lebenswege und gesellschaftlicher Strukturen. Die Autorin recherchierte intensiv über ihre eigene Mutter, um deren Geschichte zu erzählen. Dies verleiht dem Werk einen dokumentarischen Charakter, der nun auch auf der Bühne umgesetzt wird.
Winterthur und die Textilindustrie
Die Inszenierung von «Maman» in Winterthur ist kein Zufall. Anna Papst sieht eine starke Verbindung zum lokalen Kontext. Das Winterthur der Vergangenheit spielte eine wichtige Rolle in der Textilindustrie. Historische Forschungen zeigen, dass Textilarbeiterinnen oft sehr schlecht bezahlt wurden. Diese geringen Löhne führten dazu, dass sich viele Frauen prostituieren mussten. Es gab sogar Gratisarbeit, die von Frauen aus Mädchenheimen verrichtet wurde. Diese Frauen waren dort untergebracht, weil sie nicht den gesellschaftlichen Normen entsprachen. Die Familie Bührle profitierte unter anderem von dieser Art der Arbeit.
Anna Papst betont, dass es wichtig ist, die tragischen Frauenschicksale in «Maman» als strukturelles Problem zu erkennen. Sie dürfen nicht als individuelle Fälle abgetan werden. Dies unterstreicht die Relevanz des Stücks für eine breitere gesellschaftliche Diskussion.
Die Zusammenarbeit mit Sylvie Schenk
Sylvie Schenk, die Autorin des Romans, ist über die Bühneninszenierung informiert. Ihre Zustimmung war für das Projekt notwendig. Anna Papst und Chantal Le Moign besuchten sie in Konstanz bei einer Lesung. Anschliessend gingen sie gemeinsam essen. Papst beschreibt die Begegnung als sehr positiv:
«Sylvie ist wie eine weibliche Version des Elfen Puck, klein und vor Energie sprühend. Und sie hat auch im Privaten, was man in 'Maman' erfährt: diese Gabe, Dinge mit Humor zu nehmen und nie ins Sentimentale abzudriften, obwohl es viel zu beweinen gäbe.»
Diese Beschreibung zeigt die Persönlichkeit der Autorin, die auch in ihrem Werk zum Ausdruck kommt. Die Fähigkeit, mit schwierigen Themen umzugehen, ohne ins Sentimentale zu verfallen, ist ein zentrales Element von «Maman».
Kommende Aufführungen
Interessierte haben die Möglichkeit, «Maman» im Kellertheater Winterthur zu sehen. Die nächsten Aufführungstermine sind der 19. und 21. September. Weitere Termine sind der 20., 23., 26. und 28. November 2025. Das Kellertheater befindet sich in der Marktgasse 53, 8400 Winterthur. Am 26. November findet nach der Aufführung ein Nachgespräch mit Sylvie Schenk statt. Dies bietet eine besondere Gelegenheit, tiefer in die Themen des Stücks einzutauchen und die Autorin persönlich zu erleben.
Das Stück ist eine Gelegenheit, sich mit wichtigen historischen und gesellschaftlichen Fragen auseinanderzusetzen. Es bietet eine Plattform für weibliche Perspektiven und fördert das Verständnis für strukturelle Ungleichheiten, die bis heute relevant sind. Die minimalistische Inszenierung und der Fokus auf das Erzählen schaffen eine intime Atmosphäre, die das Publikum direkt anspricht.
- Termine im September: 19. und 21. September
- Termine im November 2025: 20., 23., 26. und 28. November
- Besonderheit: Nachgespräch mit Sylvie Schenk am 26. November 2025.





