Konzertveranstalter in der Schweiz stehen vor einem wachsenden Problem: Für Künstler, die als kontrovers gelten, finden sich immer schwerer passende Hallen. Betreiber von Veranstaltungsorten fürchten um ihren Ruf und sagen Auftritte ab, was eine Debatte über Kunstfreiheit und unternehmerische Verantwortung auslöst.
Ein prominenter Fall betrifft den erfahrenen Veranstalter Thomas Dürr, der für die umstrittene Band Frei.Wild eine grosse Halle in Zürich buchen wollte. Die Absage kam prompt und mit einer klaren Begründung, die ein Schlaglicht auf die aktuelle Situation wirft.
Das Wichtigste in Kürze
- Schweizer Konzertveranstalter haben zunehmend Schwierigkeiten, Hallen für kontroverse Bands und Redner zu buchen.
- Hallenbetreiber begründen Absagen oft mit dem Schutz der eigenen Unternehmenswerte und der Sorge vor Reputationsschäden.
- Der Fall der Band Frei.Wild in Zürich ist ein aktuelles Beispiel für diese Entwicklung und verdeutlicht den zugrunde liegenden Konflikt.
- Die Debatte berührt grundlegende Fragen der Kunstfreiheit, der Zensur und der Verantwortung von privaten Unternehmen im Kulturbetrieb.
Ein klares Nein aus Sorge um den guten Ruf
Für Thomas Dürr, einen der grössten Konzertveranstalter der Schweiz, sind Absagen wie diese kein Einzelfall mehr. Bei seiner Anfrage für einen Auftritt der Band Frei.Wild erhielt er von der Betreiberin einer grossen Zürcher Veranstaltungshalle eine unmissverständliche Antwort. Die Band sei in der Vergangenheit wiederholt mit politischen Positionen in Verbindung gebracht worden, die nicht mit den Werten des Unternehmens vereinbar seien.
In der schriftlichen Absage, die unserer Redaktion vorliegt, heisst es weiter, dass man Veranstaltungen vermeiden wolle, die der Reputation schaden könnten. Auch der Eigentümer der Halle lege grossen Wert darauf, dass keine Events stattfinden, die den Unternehmenswerten widersprechen. Diese Begründung ist symptomatisch für eine wachsende Vorsicht im Veranstaltungssektor.
Was steckt hinter der Kontroverse?
Die Band Frei.Wild aus Südtirol ist seit Jahren Gegenstand heftiger Debatten. Kritiker werfen der Deutschrock-Band eine Nähe zu nationalistischem und rechtspopulistischem Gedankengut vor. Die Musiker selbst wehren sich gegen diese Vorwürfe und betonen ihre Distanz zu jeglichem politischen Extremismus. Dennoch bleibt ihr Image polarisierend, was Veranstalter vor ein Dilemma stellt.
Unternehmerische Freiheit vs. Kultureller Auftrag
Hallenbetreiber sind private Unternehmen. Sie haben das Recht zu entscheiden, mit wem sie Geschäfte machen. Gleichzeitig sind grosse Konzerthallen oft ein zentraler Bestandteil des öffentlichen Kulturlebens. Ihre Entscheidungen haben daher direkte Auswirkungen darauf, welche künstlerischen Inhalte einem breiten Publikum zugänglich gemacht werden.
Die Angst vor dem Imageschaden
Die Entscheidung der Zürcher Halle ist kein isoliertes Ereignis. Immer mehr Unternehmen, von Veranstaltungsorten bis hin zu Sponsoren, wägen das Risiko eines Imageschadens sorgfältig ab. In Zeiten von Social Media kann ein Shitstorm schnell entstehen und nachhaltige wirtschaftliche Folgen haben. Die Angst vor negativer Presse und öffentlichem Druck wird so zu einem entscheidenden Faktor bei der Programmgestaltung.
Einige Branchenkenner sprechen von einer Form der vorauseilenden Selbstzensur. Anstatt eine öffentliche Debatte zu riskieren, wird potenziell problematischen Inhalten von vornherein eine Plattform verwehrt. Dies geschieht nicht nur bei Konzerten, sondern auch in anderen Kulturbereichen.
„Unser Eigentümer legt grossen Wert darauf, dass keine Veranstaltungen in Verbindung mit der Halle gebracht werden, die der Reputation oder den Unternehmenswerten schaden könnten.“ – Auszug aus der Absage des Hallenbetreibers.
Diese Haltung wirft die Frage auf, wer die Grenzen des Sag- und Machbaren im kulturellen Raum definiert. Sind es die Künstler, das Publikum, die Medien oder die Unternehmen, denen die Bühnen gehören?
Mehr als nur Musik: Ein Trend erfasst die Kulturwelt
Das Phänomen beschränkt sich nicht auf die Musikszene. Berichte aus der Kunstwelt zeigen eine ähnliche Entwicklung. Museen und Galerien überdenken ihre Ausstellungen und nehmen teilweise Werke von den Wänden, die als problematisch empfunden werden könnten. Die Gründe sind vielfältig:
- Historischer Kontext: Werke, die aus einer anderen Zeit stammen und heute als diskriminierend gelten könnten.
- Politische Brisanz: Kunst, die aktuelle politische Konflikte thematisiert und polarisiert.
- Druck von Aktivistengruppen: Gezielte Kampagnen, die Institutionen zur Distanzierung von bestimmten Künstlern oder Werken auffordern.
Diese Entwicklung führt zu einer grundlegenden Diskussion über die Rolle von Kulturinstitutionen. Sollen sie ein Spiegel der Gesellschaft sein, der auch unbequeme und strittige Positionen zeigt, oder sollen sie als sichere Räume dienen, die niemanden vor den Kopf stossen?
Die Grauzone der Kunstfreiheit
Die Kunstfreiheit ist in der Schweiz durch die Bundesverfassung geschützt. Sie ist jedoch nicht absolut. Ihre Grenzen findet sie dort, wo andere Rechtsgüter wie die Menschenwürde verletzt oder Straftatbestände wie Rassendiskriminierung erfüllt werden. Die Entscheidung, ob eine Band wie Frei.Wild diese Grenze überschreitet, ist oft Gegenstand juristischer und gesellschaftlicher Auseinandersetzungen.
Die Folgen für die kulturelle Vielfalt
Wenn Veranstalter und Institutionen aus Furcht vor Kontroversen immer öfter auf Nummer sicher gehen, könnte dies langfristige Konsequenzen für die kulturelle Landschaft haben. Kritiker befürchten eine Verengung des Meinungskorridors und eine Abnahme der künstlerischen Vielfalt.
Kunst, die aneckt, provoziert und zum Nachdenken anregt, könnte es schwerer haben, ein Publikum zu finden. Wenn nur noch konsensfähige Inhalte eine Bühne bekommen, geht ein wichtiger Teil des gesellschaftlichen Diskurses verloren. Die Herausforderung für die Zukunft wird darin bestehen, eine Balance zu finden: zwischen der Wahrung von Unternehmenswerten, dem Schutz vor Diskriminierung und der unverzichtbaren Freiheit der Kunst.





