Die Winterthurer Bibliotheken ermöglichen einen seltenen Einblick in die Vergangenheit: Ihr Online-Bildarchiv präsentiert eine umfangreiche Sammlung von Stereoskopien. Diese historische 3D-Technik, die bereits im 19. Jahrhundert die Menschen begeisterte, lässt Betrachter in räumliche Ansichten des damaligen Winterthurs und ferner Länder eintauchen.
Wichtige Erkenntnisse
- Die Winterthurer Bibliotheken erweitern ihr Online-Bildarchiv um über 1000 historische Stereobilder.
- Stereoskopie, eine 3D-Aufnahmetechnik aus dem 19. Jahrhundert, ermöglicht räumliche Bilder.
- Die Sammlung umfasst Werke des Winterthurer Professors Gottlieb Stiner und die private Sammlung Walter Sulzer-Steiner.
- Diese Bilder dienten als Massenmedium für imaginäre Reisen und zur Dokumentation des Alltags.
- Die Technik erzeugt zwei leicht versetzte Bilder, die das Gehirn zu einem 3D-Eindruck verschmelzen lässt.
Ein Blick in die Anfänge der 3D-Technik
Was heute durch moderne Virtual Reality und 3D-Filme selbstverständlich erscheint, war im 19. Jahrhundert eine Sensation: die Stereoskopie. Diese spezielle Aufnahmetechnik nutzte Kameras mit zwei im Augenabstand angeordneten Objektiven. So entstanden zwei fast identische Bilder, jedoch aus einem leicht unterschiedlichen Blickwinkel.
Betrachtete man diese Doppelbilder anschliessend mit einem Stereoskop, das die Sicht für jedes Auge trennte, fügte das menschliche Gehirn die beiden Ansichten zu einem einzigen, räumlichen Bild zusammen. Ein verblüffender Effekt, der die Menschen damals in seinen Bann zog.
Faktencheck: Stereoskopie
- Erfindung: Die Stereoskopie wurde bereits 1838 erfunden.
- Prinzip: Zwei Bilder aus leicht unterschiedlichen Perspektiven werden aufgenommen.
- Betrachtung: Mit einem Stereoskop oder Taxiphote wird der 3D-Effekt erzeugt.
- Effekt: Das Gehirn verschmilzt die Bilder zu einem dreidimensionalen Eindruck.
Vom Nischenphänomen zum globalen Massenmedium
Nach ihrer Erfindung im Jahr 1838 entwickelte sich die Stereoskopie rasch zu einem globalen Massenmedium. Grosse Verlage produzierten und vertrieben Bildkarten mit Stereoaufnahmen aus der ganzen Welt. Diese Karten ermöglichten es den Menschen, imaginäre Reisen zu unternehmen und fremde Länder zu „besuchen“, ohne das eigene Zuhause verlassen zu müssen.
Das Eintauchen in diese fernen Bildwelten stillte das Fernweh und bot reichlich Gesprächsstoff in den Wohnzimmern. Es war eine frühe Form der visuellen Unterhaltung und Bildung, die die Fantasie beflügelte und das Weltbild erweiterte.
„Im 19. Jahrhundert war die Welt begeistert von der Stereoskopie. Sie entwickelte sich zum globalen Massenmedium und machte das imaginäre Reisen zum beliebten Hobby.“
Winterthurer Alltag in 3D
Neben exotischen Motiven hielten Stereobilder auch den Alltag fest. Ein beeindruckendes Beispiel ist die Aufnahme einer kleinen Parade des Radfahrer-Vereins Winterthur an der Rundstrasse, entstanden um 1905. Solche Bilder begeisterten, zumindest im lokalen Kreis, und dokumentierten das gesellschaftliche Leben der Stadt auf einzigartige Weise.
Die Detailtreue und der räumliche Effekt verliehen diesen Momentaufnahmen eine besondere Lebendigkeit. Sie sind heute wertvolle Zeitdokumente, die uns einen unmittelbaren Eindruck vom Leben vor über hundert Jahren vermitteln.
Gottlieb Stiner: Ein Winterthurer Pionier der Stereoskopie
Einer der eifrigsten Fotografen, der die Stereoskopie in Winterthur nutzte, war Gottlieb Stiner (1865–1928). Als Professor am Technikum Winterthur hatte er offensichtlich eine grosse Freude an dieser Technik. Sein Erbe umfasst über 100 Stereobilder, die im Bildarchiv der Winterthurer Bibliotheken zugänglich sind.
Stiners Arbeiten zeigen eine Vielfalt an Motiven, von Stadtansichten bis hin zu Porträts und Alltagsszenen. Seine Bilder sind ein Zeugnis seiner Leidenschaft für die Fotografie und sein Engagement, die Welt in drei Dimensionen festzuhalten.
Hintergrund: Die Sammlung Winterthur
Die Serie über historische Bilder entsteht in Zusammenarbeit mit der Sammlung Winterthur der Winterthurer Bibliotheken. Dieses Engagement ermöglicht es, wertvolle historische Aufnahmen der Öffentlichkeit zugänglich zu machen und das kulturelle Erbe der Stadt zu bewahren.
Erweiterung des Archivs: Die Sammlung Sulzer-Steiner
Das Online-Bildarchiv der Winterthurer Bibliotheken hat seine Bestände kürzlich erheblich erweitert. Neu sind rund 1000 weitere Stereobilder aus der Sammlung von Walter Sulzer-Steiner (1866–1918) hinzugekommen. Diese Erweiterung bereichert das Archiv um eine Fülle neuer Perspektiven und Motive.
Ein besonderes Highlight der Sulzer-Steiner-Sammlung ist ein historischer Betrachtungsapparat namens «Taxiphote». Dieses Gerät, eine aufwendigere Form des Stereoskops, ermöglichte ein komfortableres und oft auch gemeinsames Betrachten der 3D-Bilder. Es war ein Luxusobjekt seiner Zeit, das die Faszination für die Stereoskopie weiter steigerte.
Das Online-Bildarchiv: Ein Schatz für alle
Insgesamt stehen im Online-Bildarchiv der Winterthurer Bibliotheken gegen 85'000 Bilder zur freien Betrachtung bereit. Diese riesige digitale Sammlung ist eine unschätzbare Ressource für Historiker, Forscher und alle, die sich für die Geschichte Winterthurs und die Entwicklung der Fotografie interessieren.
Die Möglichkeit, diese historischen Aufnahmen digital zu erkunden, macht das Erbe der Stadt für jeden zugänglich. Es ist ein Fenster in eine vergangene Zeit, das uns hilft, die Wurzeln unserer Gegenwart besser zu verstehen.
Die Bedeutung der Stereoskopie heute
Auch wenn die Stereoskopie als Massenmedium durch modernere Technologien abgelöst wurde, bleibt ihre historische Bedeutung unbestritten. Sie war ein wichtiger Schritt in der Entwicklung der visuellen Medien und legte den Grundstein für heutige 3D-Technologien.
Die alten Stereobilder sind nicht nur technische Kuriositäten, sondern auch faszinierende Zeugnisse einer Zeit, in der die Welt im Wandel war. Sie zeigen uns, wie Menschen vor über einem Jahrhundert die Welt sahen und wie sie versuchten, diese dreidimensional festzuhalten.
- Die Technik wurde im 19. Jahrhundert als revolutionär empfunden.
- Sie bot eine Möglichkeit zur Unterhaltung und Bildung.
- Historische Stereobilder sind wertvolle Kulturgüter.
- Sie zeigen die Anfänge der räumlichen Bildwiedergabe.
Die Winterthurer Bibliotheken leisten mit der Digitalisierung und Zugänglichmachung dieser Sammlungen einen wichtigen Beitrag zur Bewahrung des kulturellen Erbes. Es ist eine Einladung, die Geschichte Winterthurs aus einer neuen, dreidimensionalen Perspektive zu erleben.





