Das Kantonsspital Winterthur (KSW) hat eine neue Methode für Kaiserschnittgeburten eingeführt. Ein spezielles Tuch mit einem durchsichtigen Fenster ermöglicht es Müttern, die Geburt ihres Kindes direkt mitzuerleben. Ziel dieser Neuerung ist es, die emotionale Bindung zwischen Mutter und Kind von Anfang an zu stärken und das Geburtserlebnis positiver zu gestalten.
Wichtige Fakten
- Das Kantonsspital Winterthur bietet neu das sogenannte Sectio-Fenster bei Kaiserschnitten an.
- Mütter können durch ein transparentes Fenster im Operationstuch die Geburt ihres Babys beobachten.
- Die Methode soll das emotionale Geburtserlebnis verbessern und die Bindung zum Kind fördern.
- Das Angebot ist in der Schweiz noch selten und wird im Kanton Zürich nur an wenigen Spitälern praktiziert.
Eine neue Perspektive auf die Geburt
Für viele Frauen ist die Geburt ein einschneidendes Ereignis. Die Art der Entbindung, ob natürlich oder per Kaiserschnitt, kann die Wahrnehmung und das emotionale Wohlbefinden der Mutter massgeblich beeinflussen. Während bei einer natürlichen Geburt der Moment des Gebärens aktiv erlebt wird, fehlt dieser Aspekt beim Kaiserschnitt oft vollständig.
Um diese Lücke zu schliessen, setzt das Kantonsspital Winterthur seit Kurzem auf eine innovative Methode: das Sectio-Fenster. Es handelt sich dabei um ein spezielles Operationstuch, das über ein integriertes, durchsichtiges Fenster verfügt. Dieses Fenster bleibt während des Eingriffs zunächst undurchsichtig und wird erst im entscheidenden Moment geöffnet.
Die emotionale Lücke beim Kaiserschnitt
Ein Kaiserschnitt ist ein operativer Eingriff, bei dem das Kind aus der Gebärmutter geholt wird, ohne dass die Mutter aktiv presst. Diese fehlende körperliche Erfahrung kann bei manchen Frauen zu einem Gefühl der Distanz führen.
«Das Kind ist plötzlich da», erklärt Dr. med. Leila Sultan-Beyer, Chefärztin der Klinik für Geburtshilfe am Kantonsspital Winterthur. Sie beschreibt damit die Erfahrung vieler Frauen, die nach einem Kaiserschnitt berichten, eine emotionale Verbindung zu ihrem Neugeborenen erst aufbauen zu müssen.
Diese wahrgenommene Lücke zwischen dem operativen Eingriff und dem ersten Halten des Babys soll durch das Sectio-Fenster überbrückt werden. Indem die Mutter den Moment der Geburt visuell miterlebt, wird eine direkte Verbindung geschaffen.
Hintergrund: Bonding nach der Geburt
Das sogenannte Bonding bezeichnet den Prozess des Aufbaus einer emotionalen Bindung zwischen Eltern und Kind unmittelbar nach der Geburt. Früher Hautkontakt, Blickkontakt und die Stimme der Eltern sind entscheidende Faktoren. Studien zeigen, dass ein starkes initiales Bonding die Eltern-Kind-Beziehung langfristig positiv beeinflussen kann.
Der Ablauf einer Geburt mit Sichtfenster
Die Anwendung des Fenstertuchs ist präzise getaktet, um der Mutter ein positives Erlebnis zu ermöglichen, ohne sie mit medizinischen Details zu konfrontieren. Der Bauch der Frau bleibt während der Operation wie üblich mit einem Tuch abgedeckt.
«Wir öffnen das Fenster in dem Moment, wenn wir das Baby aus der Gebärmutter holen», erläutert Sultan-Beyer den Vorgang. «Die Mutter guckt nach unten und sieht, wie das Köpfchen schlüpft.» Anschliessend werden Arme, Beine und der restliche Körper sichtbar. Laut der Chefärztin ist zu diesem Zeitpunkt kaum noch Blut zu sehen, sodass der Fokus ganz auf dem Kind liegt.
Dieser Moment gibt der Mutter die visuelle Bestätigung, dass dies ihr Kind ist, das gerade ihren Körper verlässt. Es ist ein bewusster Akt des „Zur-Welt-Kommens“, der miterlebt werden kann.
Fakten zum Kaiserschnitt in der Schweiz
- Die Kaiserschnittrate in der Schweiz gehört zu den höchsten in Europa.
- Laut dem Bundesamt für Statistik lag die Rate in den letzten Jahren konstant bei über 30 %.
- Die Gründe für einen Kaiserschnitt sind vielfältig und reichen von medizinischer Notwendigkeit bis zum Wunsch der Mutter.
- Methoden wie das Sectio-Fenster zielen darauf ab, das Geburtserlebnis auch bei operativen Eingriffen zu verbessern.
Positive Rückmeldungen und hohe Nachfrage
Obwohl das Angebot am KSW erst seit rund eineinhalb Monaten besteht, sind die Reaktionen durchweg positiv. «Die ersten Reaktionen sind denn auch fantastisch», berichtet Sultan-Beyer. Alle Frauen, die sich bisher für das Sectio-Fenster entschieden haben, seien begeistert und dankbar für die Möglichkeit gewesen.
Das Spital hatte die Einführung bereits früher geplant, doch Lieferengpässe bei den speziellen Tüchern verzögerten den Start. Die hohe Nachfrage bestätigt jedoch den Bedarf an solchen Angeboten, die das Geburtserlebnis in den Mittelpunkt stellen.
Mehr als nur ein Fenster
Die Chefärztin betont, dass das Sectio-Fenster eine Ergänzung zu bereits etablierten Praktiken ist. Das Bonding hat am KSW einen hohen Stellenwert. «Wir legen das Neugeborene nach einem Kaiserschnitt der Mutter umgehend auf die Brust, um rasch eine Verbindung zu fördern», so Sultan-Beyer. Der direkte Hautkontakt ist ein zentraler Bestandteil der postoperativen Versorgung.
Das visuelle Erlebnis der Geburt sei nun das «Tüpfelchen auf dem i», das den Müttern einen unvergesslichen Moment schenkt, den sie sonst verpasst hätten.
Ein seltenes Angebot in der Schweizer Spitallandschaft
Die Möglichkeit, bei einem Kaiserschnitt durch ein Fenster zuzusehen, ist in der Schweiz noch nicht weit verbreitet. Nur eine kleine Anzahl von Spitälern bietet diese Methode an. Im Kanton Zürich ist das Kantonsspital Winterthur neben dem Spital Zollikerberg eine der wenigen Kliniken, die Müttern dieses besondere Geburtserlebnis ermöglichen.
Die Einführung des Sectio-Fensters am KSW zeigt einen Wandel in der Geburtshilfe, bei dem das emotionale und psychologische Wohlbefinden der Mutter auch bei medizinisch notwendigen Eingriffen wie einem Kaiserschnitt zunehmend in den Fokus rückt. Es ist ein Schritt hin zu einer familienzentrierten Geburtshilfe, die den individuellen Wünschen und Bedürfnissen der Eltern gerecht werden will.





