Während der Corona-Pandemie übertrugen viele Gemeinden ihre Ratssitzungen live ins Internet, um die politische Teilhabe zu sichern. Heute, Jahre später, ist diese Praxis in der Region Winterthur und im Zürcher Unterland fast vollständig verschwunden. Hohe Kosten und geringes Zuschauerinteresse führen dazu, dass die Kameras in den meisten Ratssälen ausgeschaltet bleiben.
Das Wichtigste in Kürze
- Die meisten Gemeinden in der Region Winterthur haben die Liveübertragung von Ratssitzungen nach der Pandemie eingestellt.
- Hohe Kosten für Technik und Betrieb sind der Hauptgrund für die Einstellung der Dienste.
- Die Stadt Dübendorf ist eine der wenigen Ausnahmen und investiert jährlich 20'000 Franken in die Übertragungen.
- In Winterthur lehnte die Stimmbevölkerung einen Kredit für die technische Aufrüstung des Ratssaals deutlich ab.
Ein kurzes digitales Intermezzo
Die Idee klang vielversprechend: Bürgerinnen und Bürger können politische Debatten bequem von zu Hause aus verfolgen, sei es live oder zeitversetzt. Was während der Pandemie aus der Not heraus geboren wurde, galt als Chance für mehr Transparenz und Bürgernähe. Doch die anfängliche Euphorie ist verflogen. Eine Umfrage in mehreren Städten der Region zeigt ein klares Bild: Der Livestream aus dem Gemeinderat ist die Ausnahme, nicht die Regel.
Wer sich heute über lokale politische Geschäfte informieren möchte, muss meist wieder den traditionellen Weg wählen: pünktlich im Gemeindehaus erscheinen und auf den oft unbequemen Zuschauersitzen Platz nehmen. Die digitale Alternative hat sich, von wenigen Ausnahmen abgesehen, nicht durchgesetzt.
Dübendorf schwimmt gegen den Strom
Die Stadt Dübendorf hat sich bewusst für die Fortführung der Liveübertragungen entschieden. Seit der ersten Sitzung am 8. Juni 2020 werden die Debatten des Gemeinderats via YouTube gestreamt. Seit einer Anpassung der Geschäftsordnung im Juli 2022 bleiben die Aufnahmen dauerhaft online verfügbar.
Dieser Service hat seinen Preis. Jährlich budgetiert die Stadt rund 20'000 Franken für die technische Umsetzung und den Betrieb des Livestreams. Das Interesse der Bevölkerung ist messbar, aber überschaubar. Der YouTube-Kanal zählt aktuell 114 Abonnenten. Die letzte Sitzung wurde rund 275 Mal aufgerufen.
Zuschauerzahlen im Vergleich
Während die digitale Übertragung in Dübendorf einige hundert Aufrufe erzielt, verfolgen die Sitzungen direkt vor Ort im Durchschnitt zwischen 10 und 20 Personen. Der Livestream erreicht also potenziell ein grösseres Publikum, als es die physischen Zuschauerränge tun.
Die Entscheidung Dübendorfs, an diesem Angebot festzuhalten, unterstreicht den Willen, einen modernen und niederschwelligen Zugang zur Kommunalpolitik zu ermöglichen, auch wenn die Kosten im Verhältnis zur direkten Zuschauerzahl hoch erscheinen.
Winterthur: Das Volk sagt Nein zur teuren Technik
In der zweitgrössten Stadt des Kantons Zürich scheiterte die Einführung von Livestreams nicht am politischen Willen, sondern an den Finanzen – und am Votum der Stimmbevölkerung. Im Jahr 2022 plante das Winterthurer Parlament, den Umbau des Ratssaals für eine umfassende technische Modernisierung zu nutzen.
Das Projekt umfasste ein neues Konferenz- und Abstimmungssystem sowie ein vollautomatisches Kamerasystem, das Liveübertragungen ermöglicht hätte. Die dafür veranschlagten Mehrkosten beliefen sich auf 947'000 Franken. Bei der Abstimmung im September 2022 erteilte das Stimmvolk diesem Vorhaben jedoch eine klare Absage. Die hohe Summe für die technische Aufrüstung wurde nicht bewilligt.
"Das deutliche Ergebnis der Abstimmung zeigte, dass die Prioritäten der Bevölkerung an anderer Stelle lagen. Eine fast eine Million Franken teure Aufrüstung für Livestreams fand keine Mehrheit."
Seither ist das Thema in Winterthur vom Tisch. Die Sitzungen des Grossen Gemeinderats finden weiterhin ohne digitale Übertragung statt.
Kosten-Nutzen-Rechnung geht nicht auf
Auch andere Städte haben ihre Erfahrungen gemacht und sind zum Schluss gekommen, dass der Aufwand den Nutzen nicht rechtfertigt.
Kloten: Kurze Wiedergabezeit bei hohen Kosten
Die Flughafenstadt Kloten zeichnete während der Pandemie zwei Sitzungen auf, die ohne Publikum stattfinden mussten. Die Videos wurden nachträglich auf YouTube veröffentlicht und erreichten 123 bzw. 179 Aufrufe. Eine genauere Analyse zeigte jedoch, dass die durchschnittliche Wiedergabezeit bei lediglich sieben bis neun Minuten lag.
Jede dieser Aufzeichnungen kostete die Stadt rund 4'500 Franken. Da Kloten über keinen fest eingerichteten Parlamentssaal verfügt, hätte die gesamte Infrastruktur für jede Sitzung neu aufgebaut werden müssen. Angesichts der hohen Kosten und des geringen Interesses entschied sich die Ratsleitung gegen eine Fortführung.
Bülach und Opfikon: Verzicht von Anfang an
Die Städte Bülach und Opfikon haben auf Livestreams gänzlich verzichtet, auch während der Hochphase der Pandemie. In beiden Fällen wurden die Kosten als zu hoch erachtet. Bülach stellte für eine Sitzung, die unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfand, nachträglich ein Protokoll und eine Tonaufnahme zur Verfügung.
Traditionelle Teilnahme bleibt die Norm
In den meisten Gemeinden bleibt die persönliche Anwesenheit die einzige Möglichkeit, politische Debatten live zu verfolgen. Die Zuschauerzahlen variieren je nach Brisanz der Traktanden:
- Bülach: Im Schnitt 10 bis 15 Personen, bei wichtigen Themen bis zu 30.
- Kloten: Rund 10 Personen pro Sitzung.
- Opfikon: Zwischen 2 und 10 Personen.
Die kurze Ära der digitalen Parlamentssäle scheint vorerst beendet. Die Hürden – vor allem finanzieller und technischer Natur – sind für die meisten Gemeinden zu hoch, um die politische Debatte dauerhaft ins Wohnzimmer zu bringen.





