Während viele Schweizer Spitäler mit finanziellen Schwierigkeiten kämpfen und rote Zahlen schreiben, zeigt sich im Kanton Thurgau ein anderes Bild. Die Thurmed-Gruppe, zu der die Kantonsspitäler Frauenfeld und Münsterlingen gehören, erzielt seit Jahren stabile Gewinne. Dieses Erfolgsmodell wirft die Frage auf, welche Lehren andere Kantone aus der Thurgauer Strategie ziehen können.
Die finanzielle Gesundheit der Thurgauer Spitäler ist keine Selbstverständlichkeit in einer Branche, die von Kostendruck, Fachkräftemangel und komplexen Tarifsystemen geprägt ist. Der Erfolg basiert auf einer Kombination aus politischem Willen, strategischer Unternehmensführung und operativer Effizienz, die als Blaupause für andere Regionen dienen könnte.
Das Wichtigste in Kürze
- Die meisten Schweizer Spitäler stehen unter grossem finanziellem Druck, viele verzeichnen Verluste.
- Die Thurgauer Spitäler, organisiert in der Thurmed-Gruppe, sind eine Ausnahme und arbeiten seit Jahren profitabel.
- Der Erfolg im Thurgau basiert auf einer zentralisierten Holdingstruktur, politischer Unterstützung und operativer Effizienz.
- Strategische Entscheidungen wie die Konzentration von Fachbereichen und Investitionen in die Infrastruktur sind Schlüsselfaktoren.
Die finanzielle Notlage vieler Schweizer Spitäler
Die Situation im Schweizer Gesundheitswesen ist angespannt. Viele Spitäler, insbesondere öffentliche Einrichtungen, haben Mühe, ihre Kosten zu decken. Laut einer Analyse von PricewaterhouseCoopers (PwC) aus dem Jahr 2023 schrieben rund 40 Prozent der Schweizer Spitäler im Vorjahr einen operativen Verlust. Die Gründe dafür sind vielfältig und komplex.
Ein Hauptproblem ist das Tarifsystem. Die Fallpauschalen (DRG), die für die Vergütung von Spitalleistungen gelten, decken oft nicht die tatsächlichen Kosten, insbesondere bei komplexen Fällen. Gleichzeitig steigen die Personal- und Materialkosten stetig an, was die Margen weiter unter Druck setzt.
Der Fachkräftemangel verschärft die Lage zusätzlich. Spitäler müssen hohe Summen für temporäres Personal ausgeben oder können Betten nicht betreiben, was zu Einnahmeverlusten führt. Hinzu kommt ein hoher Investitionsbedarf in Infrastruktur und Technologie, den viele defizitäre Häuser kaum noch finanzieren können.
Hintergrund: Spitalfinanzierung in der Schweiz
Die Finanzierung der Schweizer Spitäler erfolgt dual. Die Betriebskosten werden durch die Fallpauschalen gedeckt, die sich die Krankenkassen (mindestens 55 %) und die Kantone (maximal 45 %) teilen. Investitionen in Gebäude und grosse medizinische Geräte sind hingegen weitgehend Sache der Kantone. Wenn ein Spital Verluste schreibt, müssen diese oft durch den Kanton oder die Gemeinde ausgeglichen werden, was die öffentlichen Haushalte belastet.
Das Erfolgsmodell der Thurmed-Gruppe
Im Gegensatz zum landesweiten Trend steht die Thurmed-Gruppe im Kanton Thurgau auf einem soliden finanziellen Fundament. Die Gruppe, die 2010 gegründet wurde, umfasst die Kantonsspitäler Frauenfeld und Münsterlingen sowie die Psychiatrischen Dienste Thurgau und weitere Gesundheitsdienstleister. Seit ihrer Gründung weist die Gruppe eine beeindruckende Erfolgsbilanz auf.
Im Geschäftsjahr 2022 erzielte die Thurmed-Gruppe beispielsweise einen Konzerngewinn von 11,2 Millionen Franken bei einem Umsatz von rund 620 Millionen Franken. Auch in den Jahren zuvor wurden durchweg positive Ergebnisse erzielt. Dieser Erfolg ist kein Zufall, sondern das Ergebnis gezielter strategischer Massnahmen.
Schlüsselfaktor Holdingstruktur
Ein zentraler Baustein des Erfolgs ist die Organisation als Holding. Diese Struktur ermöglicht eine zentrale Steuerung und die Nutzung von Synergien. Administrative Aufgaben wie Finanzen, Personalwesen, IT und Einkauf sind zentralisiert, was die Effizienz steigert und Kosten senkt. Die einzelnen Betriebe können sich so auf ihre medizinischen Kernkompetenzen konzentrieren.
«Die Holdingstruktur gibt uns die nötige Flexibilität, um schnell auf Veränderungen im Gesundheitsmarkt zu reagieren und gleichzeitig die Kosten im Griff zu behalten», erklärt ein Sprecher der Gruppe oft in Medienmitteilungen.
Diese zentrale Führung erlaubt es auch, Investitionen strategisch zu planen und dort einzusetzen, wo sie den grössten Nutzen für die gesamte Gruppe bringen. Anstatt dass zwei Spitäler um dieselben teuren Geräte konkurrieren, wird eine gemeinsame, bedarfsgerechte Planung ermöglicht.
Strategische Weichenstellungen im Thurgau
Der finanzielle Erfolg ist nicht nur eine Frage der Organisation, sondern auch das Resultat mutiger politischer und unternehmerischer Entscheidungen. Der Kanton Thurgau hat frühzeitig die Weichen für ein nachhaltiges Spitalwesen gestellt.
Konzentration statt Konkurrenz
Anstatt beide Standorte, Frauenfeld und Münsterlingen, als Vollversorger mit identischem Angebot zu betreiben, wurde eine klare Spezialisierung vorgenommen. Bestimmte komplexe medizinische Eingriffe werden nur an einem der beiden Standorte angeboten. Dies führt zu mehreren Vorteilen:
- Höhere Fallzahlen: Durch die Bündelung von Eingriffen erreichen die spezialisierten Teams höhere Fallzahlen, was nachweislich die Behandlungsqualität und die Patientensicherheit verbessert.
- Effizienter Ressourceneinsatz: Teure medizinische Infrastruktur muss nicht doppelt angeschafft und unterhalten werden.
- Attraktivität für Fachkräfte: Hochspezialisierte Zentren sind für Top-Ärzte und Pflegefachkräfte attraktiver als kleinere Abteilungen mit geringen Fallzahlen.
Zahlen und Fakten zur Thurmed-Gruppe
- Gründung: 2010
- Mitarbeitende: über 4'500
- Umsatz (2022): ca. 620 Millionen Franken
- Gewinn (2022): 11,2 Millionen Franken
- Hauptstandorte: Kantonsspital Frauenfeld, Kantonsspital Münsterlingen
Diese Strategie erfordert politischen Mut, da die Schliessung oder Verlagerung von Abteilungen in der Bevölkerung oft auf Widerstand stösst. Im Thurgau hat man diesen Weg jedoch konsequent verfolgt.
Kontinuierliche Investitionen
Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Bereitschaft des Kantons, in die Spitalinfrastruktur zu investieren. Während in anderen Kantonen Investitionsstaus herrschen, wurden und werden in Frauenfeld und Münsterlingen moderne Neubauten realisiert. Moderne Gebäude ermöglichen effizientere Betriebsabläufe, senken die Energiekosten und schaffen ein attraktives Umfeld für Patienten und Personal.
Diese Investitionen werden durch die Gewinne der Thurmed-Gruppe unterstützt, die teilweise reinvestiert werden können. So entsteht ein positiver Kreislauf: Wirtschaftlicher Erfolg ermöglicht Investitionen, und moderne Infrastruktur trägt wiederum zum wirtschaftlichen Erfolg bei.
Was andere Kantone lernen können
Das Modell Thurgau zeigt, dass öffentliche Spitäler auch in einem schwierigen Umfeld wirtschaftlich erfolgreich sein können. Die zentralen Erfolgsfaktoren lassen sich als potenzielle Lösungsansätze für andere Kantone zusammenfassen.
- Klare politische Strategie: Der Kanton muss eine langfristige Vision für seine Spitallandschaft haben und bereit sein, auch unpopuläre Entscheidungen zur Strukturbereinigung zu treffen.
- Zentralisierung und Synergien: Die Bündelung mehrerer Spitäler unter einem zentralen Dach (z. B. einer Holding) kann erhebliche Effizienzgewinne bringen. Konkurrenzdenken zwischen Spitälern desselben Kantons ist kontraproduktiv.
- Spezialisierung fördern: Anstatt dass jedes Spital alles anbietet, sollte eine sinnvolle Spezialisierung gefördert werden, um Qualität und Wirtschaftlichkeit zu steigern.
- Investitionsbereitschaft: Ein Investitionsstau führt langfristig zu höheren Betriebskosten und Qualitätsverlusten. Gezielte Investitionen in moderne Infrastruktur zahlen sich aus.
Natürlich lässt sich das Thurgauer Modell nicht eins zu eins auf jeden Kanton übertragen. Die geografischen Gegebenheiten und die Bevölkerungsdichte spielen eine wichtige Rolle. Dennoch liefert der Thurgau wertvolle Denkanstösse, wie die finanzielle Abwärtsspirale im Schweizer Spitalwesen durchbrochen werden kann. Der Schlüssel liegt in einer Abkehr vom kantonalen Kirchturmdenken hin zu einer übergeordneten, strategischen Planung, die Qualität und Wirtschaftlichkeit gleichermassen in den Fokus rückt.





