Die Schweizer Hotellerie verzeichnet beeindruckende Wachstumszahlen und blickt auf einen starken Sommer zurück. Allein im September stieg die Zahl der Logiernächte um 2,1 Prozent auf 4,1 Millionen. Doch hinter den glänzenden Fassaden kämpft die Branche mit tiefgreifenden Veränderungen: Digitalisierung, Fachkräftemangel und der Ruf nach mehr Nachhaltigkeit zwingen Unternehmen zu einem grundlegenden Umdenken.
Während Konzerne wie Aevis Victoria Rekordumsätze melden und neue Luxusprojekte entstehen, suchen Regionen wie Graubünden nach innovativen Wegen, um Personal zu finden und zu halten. Es ist eine Zeit des Aufbruchs, in der traditionelle Geschäftsmodelle auf den Prüfstand gestellt werden.
Die wichtigsten Punkte
- Die Schweizer Hotellerie verzeichnete im September 4,1 Millionen Logiernächte, ein Plus von 2,1% gegenüber dem Vorjahr.
- Der Fachkräftemangel zwingt die Branche zu neuen Rekrutierungsstrategien wie der Plattform «Graubünden Job Match».
- Digitalisierung wird zum entscheidenden Faktor, wie die Expansion des Zürcher Unternehmens Get Local zeigt.
- Nachhaltigkeit und Unternehmenskultur rücken als zentrale Erfolgsfaktoren in den Fokus.
Ein Sektor im Aufschwung mit neuen Realitäten
Die Zahlen sprechen eine klare Sprache: Der Schweizer Tourismus hat sich nicht nur erholt, sondern befindet sich auf einem soliden Wachstumskurs. Die positive Entwicklung der vergangenen Monate setzte sich auch im Herbst fort. Besonders der Kanton Zug meldete für die ersten drei Quartale eine deutliche Zunahme der Logiernächte, angetrieben von einem starken Sommergeschäft.
Dieser Erfolg spiegelt sich auch in den Bilanzen grosser Unternehmen wider. Die Beteiligungsgesellschaft Aevis Victoria, die in den Bereichen Gesundheit und Hotellerie aktiv ist, erzielte einen Umsatz von 1,3 Milliarden Franken, was einem Zuwachs von 24 Prozent entspricht. Wachstumstreiber war hier unter anderem der Zukauf der GSMN Clinique CIC.
Zahlen im Überblick
- 4,1 Millionen: Logiernächte in der Schweizer Hotellerie im September.
- +2,1%: Wachstum im Vergleich zum Vorjahresmonat.
- 1,3 Mrd. Franken: Umsatz der Aevis Victoria Gruppe im Jahr 2024.
- +24%: Umsatzsteigerung bei Aevis Victoria.
Gleichzeitig expandiert das Angebot im Luxussegment. Die Ultima Collection erweitert ihr Portfolio mit dem «Ultima Promenade Gstaad», einem exklusiven Chalet im Zentrum der Berner Oberländer Destination. Solche Projekte signalisieren Vertrauen in die Zukunft des Schweizer High-End-Tourismus.
Der Mensch im Mittelpunkt: Kampf gegen den Fachkräftemangel
Trotz der positiven wirtschaftlichen Lage steht die Branche vor einer ihrer grössten Herausforderungen: dem Mangel an qualifiziertem Personal. Viele Betriebe haben Schwierigkeiten, offene Stellen zu besetzen. Diese Situation erfordert kreative und grundlegend neue Ansätze in der Personalbeschaffung.
Graubünden denkt Rekrutierung neu
Einen innovativen Weg beschreitet die Tourismus-Allianz Graubünden. Mit der neuen Plattform «Graubünden Job Match» wird der klassische Bewerbungsprozess auf den Kopf gestellt. Statt auf ausgeschriebene Stellen zu reagieren, können sich interessierte Fachkräfte mit ihrem Profil registrieren und ihre Fähigkeiten und Wünsche darlegen. Arbeitgeber suchen dann aktiv nach passenden Kandidaten.
Der Fokus verschiebt sich damit von der Stelle zum Menschen. Dieser Ansatz soll nicht nur den Rekrutierungsprozess effizienter gestalten, sondern auch die individuellen Bedürfnisse der Arbeitnehmenden stärker berücksichtigen und so die Mitarbeiterbindung erhöhen.
Führung und Kultur als Schlüssel
Unternehmensberater Ueli Schneider betont, dass eine gute Strategie allein nicht ausreicht. Für nachhaltigen Erfolg in der Hotellerie sei eine gelebte Unternehmenskultur entscheidend. Wenn Führung und Ausrichtung nicht fest in der täglichen Arbeit verankert sind, bleiben auch die besten Pläne wirkungslos. Dies gilt insbesondere für die Mitarbeiterbindung in Zeiten des Fachkräftemangels.
Die mentale Gesundheit der Mitarbeitenden, insbesondere der jungen Generation, rückt ebenfalls in den Fokus. Psychologe Werner Krammel wies kürzlich bei einer Veranstaltung in Solothurn darauf hin, dass immer mehr Jugendliche mit Stress und Überforderung zu kämpfen haben. Er appellierte an Berufsbildner, frühzeitig auf Anzeichen zu reagieren und ein unterstützendes Arbeitsumfeld zu schaffen.
Digitalisierung als strategischer Hebel
Neben dem Personal ist die Digitalisierung der zweite grosse Treiber des Wandels. Hotels müssen heute mehr bieten als nur ein Bett. Gäste erwarten nahtlos integrierte digitale Dienstleistungen, von der Buchung von Aktivitäten bis hin zu Restaurantempfehlungen.
Das 2016 in Zürich gegründete Unternehmen Get Local hat diesen Trend früh erkannt. Es bietet Hotels eine digitale Plattform, über die Gäste direkt Erlebnisse wie Mobilitätsangebote, Restaurantbesuche und Touren buchen können. Ursprünglich in der Schweiz, Österreich und Deutschland aktiv, plant das Unternehmen bereits die Expansion in weitere Märkte.
Um das Wachstum zu beschleunigen, hat Get Local kürzlich strategische Partnerschaften geschlossen. Mit an Bord sind Daniel Egloff, der ehemalige Direktor von Basel Tourismus, und die Digitalisierungsexpertin Melanie Staub. Diese Kooperationen sollen die Vertriebsaktivitäten stärken, insbesondere nach der Einführung eines neuen Concierge-Lobby-Kiosks, der das Gästeangebot in Hotels direkt vor Ort sichtbar macht.
Nachhaltigkeit ist mehr als nur ein Trend
Die dritte grosse Säule des Wandels ist die Nachhaltigkeit. Gäste werden anspruchsvoller und hinterfragen zunehmend den ökologischen und sozialen Fussabdruck ihrer Reisen. Für den Schweizer Tourismus ist dies Chance und Herausforderung zugleich.
«Die Frage ist nicht mehr, ob Tourismus nachhaltig sein kann, sondern wie wir ihn nachhaltig gestalten müssen», so Romy Bacher, Leiterin Nachhaltigkeit beim Schweizer Tourismus-Verband STV.
Das vom Verband initiierte Programm Swisstainable hat sich zum Ziel gesetzt, eine landesweite Bewegung für nachhaltigen Tourismus zu etablieren. Es bietet Betrieben, von kleinen Pensionen bis zu grossen Hotelketten, einen Rahmen, um ihre Nachhaltigkeitsbemühungen sichtbar zu machen und weiterzuentwickeln.
Bacher spricht offen über die Hürden. Gerade für kleine Betriebe sei die Umsetzung oft eine Herausforderung. Zudem bestehe die Gefahr des «Greenwashing», bei dem Unternehmen sich nachhaltiger darstellen, als sie es tatsächlich sind. Transparenz und glaubwürdige Kriterien seien daher entscheidend, um das Vertrauen der Gäste zu gewinnen und langfristig zu sichern.
Der Wandel im Schweizer Tourismus ist in vollem Gange. Die Branche beweist Anpassungsfähigkeit und Innovationskraft, um sich für die Zukunft zu rüsten. Die kommenden Jahre werden zeigen, welche Konzepte sich durchsetzen und wie die Balance zwischen wirtschaftlichem Wachstum, den Bedürfnissen der Mitarbeitenden und ökologischer Verantwortung gelingt.





