Der Kanton Zürich plant, die Interkantonale Hochschule für Heilpädagogik (HfH) aus ihrer bisherigen Trägerschaft zu lösen und in eine kantonale Institution umzuwandeln. Dieser Schritt erfolgt inmitten eines landesweiten Mangels an qualifizierten Heilpädagoginnen und Heilpädagogen und sorgt bei den Partnerkantonen für erhebliche Bedenken.
Die Zürcher Bildungsdirektorin Silvia Steiner verteidigt den Schritt als notwendige Modernisierung, während Kritiker eine Schwächung der nationalen Ausbildung und eine Gefährdung der Versorgung von Kindern mit besonderem Förderbedarf befürchten. Die Zukunft der wichtigsten Ausbildungsstätte für Heilpädagogik im deutschsprachigen Raum steht auf dem Spiel.
Wichtige Fakten im Überblick
- Der Kanton Zürich will das interkantonale Konkordat für die Hochschule für Heilpädagogik (HfH) auflösen.
- Die HfH soll in eine kantonale Zürcher Hochschule umgewandelt werden.
- Dieser Schritt geschieht trotz eines akuten Fachkräftemangels im Bereich der Heilpädagogik in der gesamten Schweiz.
- Andere Trägerkantone und Fachverbände äussern grosse Besorgnis über die Zukunft der Ausbildung und die national koordinierte Versorgung.
Zürichs Plan zur Neuorganisation der HfH
Die Regierung des Kantons Zürich hat beschlossen, das seit 2007 bestehende Konkordat über die Interkantonale Hochschule für Heilpädagogik aufzulösen. Ziel ist es, die HfH vollständig in die Zürcher Hochschullandschaft zu integrieren und sie als eigenständige kantonale Hochschule weiterzuführen. Die Zürcher Bildungsdirektion begründet diesen Schritt mit dem Wunsch nach klareren Führungsstrukturen und einer besseren strategischen Steuerung.
Die HfH ist derzeit eine von 14 Kantonen und dem Fürstentum Liechtenstein getragene Institution. Sie gilt als das führende Kompetenzzentrum für Heilpädagogik in der Deutschschweiz und bildet einen Grossteil der dringend benötigten Fachkräfte aus. Mit der Auflösung des Konkordats würde Zürich die alleinige Kontrolle über die strategische Ausrichtung und das Budget der Hochschule übernehmen.
Die Zürcher Bildungsdirektorin Silvia Steiner äusserte sich im April 2024 zuversichtlich über die Zukunft der Institution. Sie betonte, dass die HfH als Marke stark bleiben und ihre wichtige Rolle auch unter kantonaler Führung fortsetzen werde. Laut Steiner soll die Umwandlung die Hochschule für die Zukunft stärken.
Was ist ein interkantonales Konkordat?
Ein Konkordat ist ein Vertrag zwischen mehreren Schweizer Kantonen zur gemeinsamen Regelung einer bestimmten Aufgabe. Im Fall der HfH ermöglicht das Konkordat den beteiligten Kantonen, die Hochschule gemeinsam zu finanzieren und strategisch mitzugestalten. Eine Auflösung bedeutet, dass der Gastgeberkanton Zürich die alleinige Verantwortung übernimmt und die anderen Kantone ihren direkten Einfluss verlieren.
Der akute Mangel an Heilpädagogen in der Schweiz
Die Entscheidung Zürichs kommt zu einem kritischen Zeitpunkt. In der gesamten Schweiz herrscht ein gravierender Mangel an Heilpädagoginnen und Heilpädagogen. Diese Fachkräfte sind unverzichtbar für die Unterstützung von Kindern und Jugendlichen mit Lernschwierigkeiten, Verhaltensauffälligkeiten oder Behinderungen an Regel- und Sonderschulen.
Aktuelle Zahlen des Dachverbands Lehrerinnen und Lehrer Schweiz (LCH) zeigen das Ausmass des Problems. Viele Kantone können offene Stellen nicht mit qualifiziertem Personal besetzen. Dies führt dazu, dass Klassen ohne die notwendige sonderpädagogische Unterstützung auskommen müssen oder unzureichend qualifiziertes Personal eingesetzt wird. Leidtragende sind die Kinder, die nicht die Förderung erhalten, die sie für eine erfolgreiche Schullaufbahn benötigen.
Zahlen zum Fachkräftemangel
Laut Schätzungen von Bildungsverbänden fehlen in der Schweiz mehrere hundert vollzeitäquivalente Stellen im Bereich der Heilpädagogik. Die Situation hat sich in den letzten Jahren durch Pensionierungen und eine steigende Nachfrage nach integrativer Schulung weiter verschärft. Die HfH ist die grösste Ausbildungsstätte, die diesem Mangel entgegenwirkt.
Der Berufsverband Heilpädagogik (BHP) warnt eindringlich vor den Folgen dieses Mangels. Ohne genügend Fachpersonal könne das Recht der Kinder auf eine angemessene Bildung nicht mehr gewährleistet werden. Die geplante Neuorganisation der HfH schaffe zusätzliche Unsicherheit in einer bereits angespannten Lage.
Reaktionen und Bedenken der Partnerkantone
Die Pläne des Kantons Zürich haben bei den anderen am Konkordat beteiligten Kantonen für grosse Unruhe gesorgt. Sie wurden von dem einseitigen Vorgehen Zürichs überrascht und befürchten weitreichende negative Konsequenzen. Die Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren (EDK) hat eine Arbeitsgruppe eingesetzt, um die Situation zu analysieren.
Die Hauptsorge der Partnerkantone ist der Verlust ihres Mitspracherechts. Bisher konnten sie die Ausrichtung der HfH mitgestalten, um sicherzustellen, dass die Ausbildung den Bedürfnissen ihrer jeweiligen Schulsysteme entspricht. Künftig wären sie auf Leistungsvereinbarungen mit dem Kanton Zürich angewiesen, was ihre Position deutlich schwächen würde.
"Wir befürchten, dass die HfH ihren überkantonalen Charakter verliert und sich künftig primär an den Bedürfnissen des Kantons Zürich orientiert. Das wäre ein herber Verlust für die gesamte Deutschschweiz", so ein Vertreter eines Zentralschweizer Kantons.
Es besteht die Sorge, dass die Ausbildungskapazitäten reduziert oder die Studiengebühren für ausserkantonale Studierende erhöht werden könnten. Eine solche Entwicklung würde den Fachkräftemangel in den kleineren Kantonen, die stark auf die in Zürich ausgebildeten Absolventen angewiesen sind, weiter verschärfen.
Mögliche Folgen für die Bildungslandschaft
Experten warnen, dass die Umwandlung der HfH weitreichende Auswirkungen haben könnte. Die Konzentration der Steuerung in einem einzigen Kanton könnte die Vielfalt der pädagogischen Ansätze verringern und die enge Zusammenarbeit zwischen den Kantonen im Bereich der Sonderpädagogik gefährden.
Risiken der Zentralisierung
Ein zentrales Risiko ist die mögliche Vernachlässigung spezifischer regionaler Bedürfnisse. Die Schweiz zeichnet sich durch ihre föderale Bildungsstruktur aus. Die HfH hat es bisher geschafft, als nationale Institution auf die unterschiedlichen Anforderungen der Kantone einzugehen. Wenn sie zu einer Zürcher Hochschule wird, könnte dieser Fokus verloren gehen.
Ein weiteres Risiko betrifft die Forschung. Die HfH betreibt wichtige, national ausgerichtete Forschungsprojekte. Die Finanzierung und Ausrichtung dieser Projekte könnte sich ändern, wenn sie ausschliesslich von Zürcher Interessen geleitet wird. Die überregionale Relevanz der Forschungsergebnisse könnte abnehmen.
Die Zukunft der Zusammenarbeit
Die Auflösung des Konkordats stellt das bewährte Modell der interkantonalen Zusammenarbeit im Hochschulbereich grundsätzlich in Frage. Sollte Zürich seinen Plan umsetzen, könnten andere Kantone gezwungen sein, eigene, kleinere Ausbildungsgänge aufzubauen, was ineffizient und teuer wäre.
Die kommenden Monate werden entscheidend sein. Die Partnerkantone werden versuchen, mit Zürich eine Lösung auszuhandeln, die den nationalen Charakter der Heilpädagogik-Ausbildung sichert. Ob dies gelingt oder ob die Schweiz auf eine Fragmentierung in diesem wichtigen Bildungssektor zusteuert, bleibt abzuwarten.





