Die «Erste Liebe Kirche» (ELK), auch bekannt als «First Love Church», spricht gezielt junge Menschen in der Schweiz an. Fachstellen berichten von einer Zunahme besorgter Anfragen, da Teenager und junge Erwachsene auf Strassen, vor Universitäten und auf dem Schulweg angesprochen und zu kirchlichen Veranstaltungen eingeladen werden. Die Freikirche, die Teil der internationalen «Lighthouse Group of Churches» ist, konzentriert sich darauf, Jugendliche für ein pfingstliches Christentum zu gewinnen, was bei Eltern und Fachpersonen zunehmend Fragen aufwirft.
Wichtige Punkte
- Die «Erste Liebe Kirche» (ELK) missioniert aktiv Jugendliche zwischen 13 und 18 Jahren in der Schweiz.
- Anfragen bei Fachstellen für Sektenfragen, wie Infosekta, nehmen stetig zu.
- Eltern berichten von rascher Einbindung und emotionaler Distanzierung ihrer Kinder.
- Die Kirche nutzt jugendgerechte Sprache, soziale Medien und Events zur Anwerbung.
- Kritiker sehen eine schleichende Einbindung in ein konservatives Glaubenssystem, während die Kirche dies bestreitet.
Gezielte Ansprache an Schulen und Universitäten
Die Methoden der «Erste Liebe Kirche» sind unübersehbar. Bereits im September, zu Beginn des Semesters, wurden Studierende vor der Universität Zürich von jungen Menschen in roten Oberteilen angesprochen. Sie luden zu «Hangouts» und «Game Nights» ein. Erst auf Nachfrage wurde der christlich motivierte Hintergrund durch Flyer ersichtlich. Die Kirche, die sich als Teil der «Lighthouse Group of Churches» aus Ghana versteht, zielt besonders auf junge Zielgruppen ab.
Auch in der Woche des Lehrbeginns wurden am Zürcher Hauptbahnhof und in Oerlikon gezielt Flyer verteilt. Eine interne Chatgruppe der Kirche zeigte die klare Absicht: «Heute werden wir alle rausgehen und die rettende Botschaft verkünden und durch Gottes Gnade ganz viele Schüler und Lehrlinge zu Jesus führen.» Diese gezielte Ansprache von Schülern, Lernenden und Studierenden, meist im Alter von 15 bis 18 Jahren, ist ein zentraler Bestandteil ihrer Strategie.
Faktencheck
- Die ELK hat laut eigenen Angaben über 158 Standorte weltweit in etwa 30 Ländern.
- In der Schweiz befinden sich mindestens sechs Standorte der Kirche.
- Der Zürcher Ableger zählt rund 120 Mitglieder in seiner internen WhatsApp-Gruppe.
- Auf TikTok und Instagram folgen der Kirche über 1000 Personen.
Besorgte Eltern und emotionale Distanzierung
Die Fachstelle für Sektenfragen Infosekta verzeichnet eine steigende Zahl von Anfragen besorgter Eltern. Susanne Schaaf von Infosekta berichtet, dass die jüngste Person, die missioniert wurde, erst 13 Jahre alt gewesen sein soll. Die meisten Fälle betreffen jedoch Jugendliche zwischen 15 und 18 Jahren.
Nicole, deren 17-jähriger Sohn vor zwei Jahren durch einen Fussballkollegen in die Kirche kam, schildert ihre Erfahrungen. Ihr Sohn habe schnell Anschluss gefunden und besuche nun regelmässig Gottesdienste und Online-Gebetstreffen. Sie selbst besuchte aus Neugier einen Gottesdienst und beschreibt ihn als «Bühnenshow». Ihr fielen die wiederholten Botschaften auf, dass Menschen ohne diesen Glauben «leer und tot» seien und dass für ihre Seelen gebetet werden müsse.
«Das tönt für mich schon sehr stark nach Gehirnwäsche.»
Nicole beobachtet bei ihrem Sohn positive Veränderungen – er sei organisierter und selbstbewusster geworden. Gleichzeitig nimmt die Gemeinschaft viel Zeit in Anspruch, was zu Diskussionen zu Hause führt. Obwohl die Teilnahme als «freiwillig» gilt, empfinden viele junge Mitglieder einen starken Druck, regelmässig an Treffen teilzunehmen.
Hintergrund zur «Erste Liebe Kirche»
Die «Erste Liebe Kirche» (ELK) ist Teil der «Lighthouse Group of Churches», die von Pastor Dag Heward-Mills in Ghana gegründet wurde. Ihr Ziel ist es, junge Menschen für ein pfingstliches Christentum zu gewinnen. Auf ihrer Website wird der Gründer mit Worten zitiert, die die bedingungslose Liebe Gottes über jede irdische Liebe stellen: «Deine Mutter mag dich lieben, dein Vater mag dich lieben, aber keiner von ihnen würde für dich sterben.» Die sogenannte «Soul-winning» – das Gewinnen von Seelen für Jesus – ist ein zentraler Auftrag der Kirche.
Das Dilemma der Eltern und die Rolle der Gemeinschaft
Viele Eltern stehen vor einem Dilemma. Sie möchten kritische Aspekte der Kirche mit ihren Kindern besprechen, aber gleichzeitig die Beziehung nicht gefährden. Susanne Schaaf von Infosekta erklärt, dass Jugendliche oft mit Rückzug oder Ablehnung reagieren, wenn solche Gespräche unangenehm werden.
Ein weiteres Problem ist, dass die Jugendlichen selbst dazu angehalten werden, neue Mitglieder zu werben. Nicoles Sohn beteiligt sich aktiv daran. Dies sei von der Kirche gewünscht. Eltern erkennen oft erst spät, wie stark die Einbindung ihrer Kinder bereits ist, da diese manchmal von einer «Kirche für junge Leute» sprechen, um die wahren Ausmasse zu verschleiern.
Die Folgen reichen von einer starken Identifikation mit den Glaubensüberzeugungen bis hin zur Entfremdung vom bisherigen sozialen Umfeld. Dies wird besonders deutlich, wenn Jugendliche emotional kaum noch zugänglich sind, Freundschaften und Hobbys aufgeben und die Kirche zur absoluten Priorität wird.
Konflikte mit der Herkunftsfamilie
Die ELK setzt bewusst auf jugendgerechte Sprache, Musik und Tanz in Gottesdiensten und auf Social Media. Susanne Schaaf von Infosekta sieht hierin eine bewusste Strategie zur Anwerbung. Problematisch sei jedoch die schleichende Einbindung in ein konservatives Glaubensverständnis. Aussagen wie «Wer mit Gott unterwegs ist und zur Community gehört, ist ein besserer Mensch» sollen die Mitglieder enger an die Gemeinde binden.
Gleichzeitig werde vermittelt, dass Konflikte mit der Herkunftsfamilie unvermeidbar seien, da diese die Gläubigen nie so verstehen könnte wie die Gemeinschaft. «Enge Familienbindungen gelten dabei als Hindernis für Loyalität», so Schaaf. Dies schaffe einen «unsichtbaren Graben», bei dem man entweder «mit Gott unterwegs» ist oder sich auf der Seite der «dunklen Mächte» bewegt.
Die Sicht der Kirche
Roger Hiltbrunner, der Leiter der Zürcher ELK, weist die Vorwürfe zurück. Er betont, dass die Kirche keinerlei Abgrenzung von der Gesellschaft fördere. «Im Gegenteil: Wir ermutigen unsere Mitglieder, ihre Mitmenschen zu lieben und positiv zu ihren Gemeinschaften beizutragen», so Hiltbrunner.
Bezüglich der Familienbeziehungen erklärt er, dass die Kirche viele Zeugnisse habe, die zeigten, dass sich die Beziehungen zwischen Mitgliedern und ihren Eltern verbesserten. «Wir fördern in keiner Weise Konflikte mit Eltern. Im Gegenteil: Wir stehen mit mehreren Eltern in Kontakt, die uns informieren, wenn es Anliegen oder Sorgen gibt», versichert Hiltbrunner.
Die Diskussion um die «Erste Liebe Kirche» verdeutlicht die Herausforderungen, mit denen Familien und Fachstellen konfrontiert sind, wenn Jugendliche sich intensiv religiösen Gemeinschaften anschliessen. Die Balance zwischen elterlicher Sorge und dem Wunsch nach Selbstbestimmung der Jugendlichen bleibt eine komplexe Aufgabe.





