In Gündisau, bei Russikon, finden Kinder, die Schwierigkeiten im regulären Schulsystem haben, eine besondere Unterstützung. Ein therapeutisches Time-out-Programm auf einem Pferdehof bietet diesen Schülern eine Auszeit und individuelle Förderung. Das Angebot soll ihnen helfen, wieder Stabilität zu finden und eine passende schulische Perspektive zu entwickeln.
Wichtige Punkte
- Zwei Freundinnen betreiben in Gündisau ein therapeutisches Time-out-Programm mit Pferden.
- Kinder erhalten bis zu drei Monate individuellen Unterricht und arbeiten im Stall mit.
- Pferde wirken sich durch ihre Feinfühligkeit positiv auf verhaltensauffällige Kinder aus.
- Das Programm schafft Zeit für Abklärungen und die Suche nach alternativen Schullösungen.
Individuelle Förderung abseits des Klassenzimmers
Jannik*, ein neunjähriger Primarschüler, striegelt am Donnerstagmorgen um 9 Uhr die Ponystute Lilly. Normalerweise wäre er jetzt in der Schule. Stattdessen verbringt er seine Vormittage im Time-out auf dem Pferdehof in Gündisau. Jannik ist ein lebhaftes Kind. Er liebt Krimis und Knobelaufgaben, spielt gerne Fussball und ist generell sehr aktiv. Diese Aktivität führte im regulären Schulunterricht jedoch zu Problemen.
Jannik störte den Unterricht, hatte Schwierigkeiten, sich zu konzentrieren, und reagierte gereizt auf unerwartete Veränderungen. Seine Eltern und Lehrpersonen wussten schliesslich keinen Ausweg mehr. Die Schule konnte sein Verhalten nicht länger tragen, und zusätzliche Unterstützung oder Plätze in Sonderschulen waren nicht verfügbar. Eine Lösung musste gefunden werden, da ein Übergang in die vierte Klasse nach den Sommerferien unmöglich schien.
Wissenswertes über das Time-out
- Dauer: Das Programm dauert in der Regel etwa drei Monate.
- Kapazität: Bis zu drei Kinder können gleichzeitig betreut werden.
- Struktur: Vier Vormittage pro Woche, insgesamt 16 Lektionen.
Eine Brücke für schwierige Situationen
Für solche Fälle haben Sibylle Pfiffner und Andrea Hertach in Gündisau eine spezielle Brückenlösung geschaffen. Auf Hertachs Pferdehof «Ponykids» bieten sie ein Time-out für Kinder an, die aus verschiedenen Gründen nicht mehr am regulären Unterricht teilnehmen können. Dazu gehören Schulverweigerung, Verhaltensauffälligkeiten oder psychische Belastungen.
Während dieses Time-outs erhalten die Kinder individuelle Betreuung. Der Aufenthalt auf dem Hof gibt den Schulen und Eltern die notwendige Zeit, um eine passende Anschlusslösung für das Kind zu finden. Sibylle Pfiffner, eine studierte Heilpädagogin, und Andrea Hertach bereiten die Kinder durch individuell gestalteten Unterricht und die Einbeziehung in die täglichen Hofarbeiten auf den normalen Schulalltag oder eine andere schulische Einrichtung vor.
«Unser Programm bildet eine Brücke zum nächsten Ufer», erklärt Andrea Hertach. «Es hilft den Kindern, nicht den Anschluss zu verlieren und dennoch individuell betreut zu werden.»
Die beiden Frauen können gleichzeitig bis zu drei Kinder aufnehmen. Das rund dreimonatige Programm zielt darauf ab, die Kinder zu stabilisieren und ihnen neue Perspektiven zu eröffnen. Besonders wirkungsvoll erweist sich dabei die Interaktion mit den Tieren.
Hintergrund der Initiative
Die Idee zur Verbindung von Heilpädagogik und Pferdehof entstand aus der langjährigen Freundschaft zwischen Sibylle Pfiffner und Andrea Hertach. Als Andrea Hertach den Hof kaufte, sahen sie die Möglichkeit, ihre jeweiligen Expertisen zu bündeln und ein einzigartiges Angebot für Kinder in Notlagen zu schaffen.
Die positive Wirkung von Pferden
Die Pferde und Ponys auf dem Hof in Gündisau spielen eine zentrale Rolle im therapeutischen Ansatz. Sie schenken den Kindern Vertrauen, wecken Freude und motivieren sie, aktiv mitzuarbeiten. Andrea Hertach, die den Hof vor drei Jahren gekauft hat und seit ihrer Kindheit eine starke Bindung zu Pferden besitzt, betont die enorme Wirkung der Tiere.
«Der Einfluss der Tiere auf die Kinder ist enorm», erklärt Andrea Hertach. «Es fällt den Kindern oft viel leichter, die klare Sprache der Pferde zu verstehen.» Auf ihrem Hof leben sieben Ponys und Pferde, darunter zwei eigene. Hertach kümmert sich hauptsächlich um die Hofarbeiten, die sie gemeinsam mit den Kindern erledigt. Dazu gehören das Ausmisten der Ställe, die Tierpflege und Reitausflüge. Neben den Time-out-Plätzen bietet sie auch Ponyerlebnisse an.
Besonders bei verhaltensauffälligen Kindern erweist sich der Umgang mit den Tieren als sehr effektiv. Pferde sind sehr feinfühlig und reagieren sensibel auf Stimmungen. Gleichzeitig strahlen sie eine Ruhe aus, die ansteckend wirkt. Dies ist optimal für Kinder, die im Alltag Schwierigkeiten haben, sich einzuordnen oder zu konzentrieren. Die Tiere bieten eine nonverbale Kommunikation, die vielen Kindern einen besseren Zugang ermöglicht.
Strukturierter Tagesablauf und aktive Beteiligung
Jannik ist erst seit kurzer Zeit im Time-out-Programm, kennt aber bereits den strukturierten Tagesablauf. An den vier Vormittagen, die er bei «Ponykids» verbringt, ist eine klare Routine wichtig. Jeden Morgen bespricht Sibylle Pfiffner mit ihm die anstehenden Aufgaben. «Die Kinder freuen sich eigentlich immer sehr auf die Tiere, weshalb wir den Tag meistens mit ihnen einläuten», sagt sie. Ankommen, Tiere begrüssen und eine kleine Aufgabe erledigen – «simpel, aber wirksam».
Danach darf Jannik selbst entscheiden, ob er seinen Krimi weiterlesen, Matheaufgaben lösen oder Klavier spielen möchte. «Das Kind aktiv in die Entscheidungen einzubeziehen, ist wichtig», erklärt Pfiffner. Selbstbestimmung, aktive Mitarbeit und Gestaltung sind dabei ebenso entscheidend wie das Einhalten von Regeln und Abmachungen. Diese Elemente fördern die Eigenverantwortung und das Selbstvertrauen der Kinder.
Kernprinzipien des Time-out
- Individualität: Angepasster Unterricht an die Bedürfnisse jedes Kindes.
- Tiergestützte Pädagogik: Einsatz von Pferden zur Förderung emotionaler und sozialer Kompetenzen.
- Struktur: Klar definierte Abläufe für Stabilität und Orientierung.
- Selbstbestimmung: Kinder werden aktiv in die Gestaltung ihres Tages einbezogen.
Pädagogischer Hintergrund und Erfolge
Jannik verbringt 16 Lektionen pro Woche auf dem Hof, was den obligatorischen Schulstunden für Viertklässler entspricht. Das Ziel des Time-outs ist es, den Anschluss in Fächern wie Deutsch und Mathematik nicht zu verlieren. Oftmals ist klassischer Unterricht jedoch nicht möglich. «Dann lesen wir oder backen – und bauen die Themen spielerisch in den Alltag ein», so Pfiffner.
Sibylle Pfiffner verfügt über mehr als drei Jahrzehnte Erfahrung im pädagogischen Bereich. Sie hat in Kindergärten gearbeitet, war Heilpädagogin in Regel- und Sonderschulen und auch Schulleiterin. Im Laufe ihrer Karriere erkannte sie den Bedarf an intensiverer Betreuung für Kinder in schwierigen Situationen. Die Angebote der Regelschule stossen hier oft an ihre Grenzen.
Seit März nehmen die beiden Frauen regelmässig Kinder im Regelschulalter bis zur Sekundarstufe auf. Die Schulen beauftragen sie in der Regel direkt. «Bereits in dieser kurzen Zeit haben wir gemerkt, wie wirksam das Angebot ist», berichtet Pfiffner. Die intensive Betreuung, der individuell angepasste Unterricht und die lebensnahen Erfahrungen auf dem Hof ermöglichen es den Kindern, sich neu zu orientieren und auf eine langfristige Lösung vorbereitet zu werden.
Perspektiven für die Zukunft
Während des Time-outs finden oft auch weitere Abklärungen statt, beispielsweise hinsichtlich ADHS oder Autismus. «Die drei Monate erlauben nicht nur dem Kind ein Time-out, sondern auch, eine geeignete Anschlusslösung zu finden», erklärt Pfiffner. Das Programm bietet somit eine wertvolle Übergangsphase.
Auch für Jannik soll es so bald wie möglich entweder in der Regelschule oder einer alternativen schulischen Einrichtung weitergehen. Bis dahin kann er noch einige Wochen bei Pfiffner und Hertach auf dem Hof verbringen. «Wir freuen uns, mit Jannik den Weg in einen neuen Lebensabschnitt zu ebnen, der ihm entspricht», schliessen die Betreiberinnen des Projekts. Die Arbeit auf dem Hof hilft den Kindern, ihre Stärken und Schwächen besser kennenzulernen und daran zu arbeiten.
Die Kombination aus praktischer Arbeit mit Tieren und individualisiertem Lernen schafft eine Umgebung, in der Kinder abseits des traditionellen Schultrubels aufblühen können. Es geht darum, ihnen einen Raum zu geben, in dem sie sich sicher fühlen und ihre Fähigkeiten in ihrem eigenen Tempo entwickeln können. Diese Art der Förderung ist für viele Kinder ein entscheidender Schritt zurück in ein geregeltes schulleben oder eine passende Alternative.
*Der Name wurde zum Schutz der Privatsphäre des Kindes geändert.





