Das Kantonsspital Winterthur (KSW) bietet seit diesem Sommer eine neue Methode für Kaiserschnitte an. Eltern haben nun die Möglichkeit, die Geburt ihres Babys durch ein spezielles, transparentes OP-Tuch live mitzuerleben. Dies soll die frühe Bindung zwischen Eltern und Kind fördern.
Bisher war es in der Schweiz üblich, dass werdende Eltern ihr Kind bei einem Kaiserschnitt erst nach der vollständigen Entbindung sahen. Der entscheidende Moment des Heraushebens blieb meist hinter einem undurchsichtigen Vorhang verborgen. Das KSW ändert dies nun mit dem sogenannten Sectio-Fenster.
Wichtige Punkte
- Das Kantonsspital Winterthur führt das Sectio-Fenster für Kaiserschnitte ein.
- Eltern können die Geburt ihres Babys durch ein transparentes OP-Tuch sehen.
- Ziel ist die Stärkung der Eltern-Kind-Bindung und die Sichtbarmachung des Geburtsmoments.
- Das Verfahren ist sicher und verursacht keine zusätzlichen Kosten für die Eltern.
Einblick in den Geburtsmoment
Die leitende Ärztin der Klinik für Geburtshilfe am Kantonsspital Winterthur, Elisabeth Kapfhammer-Seltenheim, erklärt die Motivation hinter dem neuen Angebot. Sie betont, dass das Sectio-Fenster eine bisherige Lücke schliesst. Es ermöglicht den Eltern, den Moment der Geburt aktiv mitzuerleben.
Das transparente OP-Tuch, das sogenannte Sectio-Fenster, wird über dem Bauch der Gebärenden platziert. Während des Kaiserschnitts bleibt der Bereich zunächst abgedeckt. Sobald das Ärzteteam bereit ist, das Baby aus der Gebärmutter zu heben, wird das Fenster geöffnet. Dies erlaubt den Eltern, den Geburtsvorgang direkt zu verfolgen.
"Wer sein Baby geboren werden sieht – von den Beinen über die Arme bis hin zum Kopf – erlebt eine ganz besondere Verbindung", sagt Elisabeth Kapfhammer-Seltenheim.
Dieser visuelle Kontakt soll die Geburtserfahrung intensivieren. Es verhindert das Gefühl, dass das Baby "plötzlich da" ist, was bei einem traditionellen Kaiserschnitt oft der Fall sein kann. Die Förderung der Eltern-Kind-Bindung steht hier im Vordergrund. Die Klinik erhofft sich durch diese Methode eine stärkere emotionale Verbindung der Eltern zum Neugeborenen unmittelbar nach der Geburt.
Wissenswertes zum Sectio-Fenster
- Das Sectio-Fenster besteht aus einem speziellen, durchsichtigen OP-Tuch.
- Es wird erst geöffnet, wenn das Baby aus der Gebärmutter gehoben wird.
- Ziel ist eine intensivere Geburtserfahrung und frühe Bindungsstärkung.
Sicherheit und Akzeptanz des Verfahrens
Die Frage, warum dieses Angebot nicht schon früher eingeführt wurde, beantwortet Kapfhammer-Seltenheim mit fehlenden Ideen und anfänglichen Lieferengpässen. Mittlerweile sind sowohl das notwendige Wissen als auch die Materialien für eine sichere Umsetzung vorhanden. Das Verfahren birgt keine zusätzlichen Risiken für Mutter oder Kind.
Die Ärztin betont, dass ein Kaiserschnitt mit Sectio-Fenster keine Nachteile hat. Eltern werden vorab informiert, dass sie möglicherweise Blut sehen könnten. In der Praxis sei dies jedoch selten der Fall. Das Baby wird so hochgehoben, dass die Sicht hauptsächlich auf das Herauskommen aus der Bauchdecke gerichtet ist. Wenn sich Eltern während des Vorgangs unwohl fühlen sollten, kann der Vorhang vor dem Fenster jederzeit unkompliziert geschlossen werden.
Auch die finanziellen Aspekte sind für die Eltern unbedenklich. Die Kosten für das spezielle Tuch sind nur geringfügig höher als bei einem Standard-Kaiserschnitt. Das Kantonsspital Winterthur übernimmt diese zusätzlichen Ausgaben vollständig. Dies stellt sicher, dass alle interessierten Paare Zugang zu dieser Option haben, ohne finanzielle Belastung.
Hintergrund: Kaiserschnitt in der Schweiz
Der Kaiserschnitt, medizinisch Sectio caesarea genannt, ist eine häufige Geburtsmethode. In der Schweiz liegt die Kaiserschnittrate bei etwa 30 bis 33 Prozent der Geburten. Im Jahr 2022 wurden schweizweit rund 27.000 Kaiserschnitte durchgeführt. Diese Methode wird aus verschiedenen medizinischen Gründen gewählt, kann aber auch auf Wunsch der Mutter erfolgen. Die emotionale Erfahrung einer Geburt ist für viele Paare von grosser Bedeutung, weshalb innovative Ansätze wie das Sectio-Fenster zunehmend an Bedeutung gewinnen.
Positive Resonanz und Unterscheidung zur Kaisergeburt
Die Reaktionen auf das neue Angebot sind bislang sehr positiv. Laut Kapfhammer-Seltenheim gab es bisher keine negativen Erfahrungen, und niemand ist während des Zuschauens in Ohnmacht gefallen. Im Gegenteil, die meisten Frauen äussern sich begeistert und dankbar für die Möglichkeit, die Geburt auf diese Weise miterleben zu können.
Auch in den sozialen Medien findet das neue Angebot Anklang. Ein Beitrag des Kantonsspitals Winterthur auf Facebook erhielt zahlreiche positive Kommentare. Viele Nutzerinnen äusserten den Wunsch, diese Möglichkeit bei ihren eigenen Geburten gehabt zu haben. Eine Userin schrieb: "Ich habe heute das Geburtsgespräch im KSW und würde das bei meinem letzten Kind gerne erleben."
Unterschied zur Kaisergeburt
Im Rahmen der Diskussionen um das Sectio-Fenster kam auch der Wunsch nach der sogenannten Kaisergeburt auf. Kapfhammer-Seltenheim erklärt den Unterschied zwischen den beiden Konzepten. Eine Kaisergeburt beinhaltet in der Regel, dass die Nabelschnur von der Mutter oder einer Begleitperson durchtrennt wird. Dies ist vor allem bei Spontangeburten möglich, bei denen die Sterilität im Operationssaal weniger kritisch ist.
Bei einem Kaiserschnitt, auch mit Sectio-Fenster, muss jedoch strikt steril gearbeitet werden. Die Einhaltung der Hygienerichtlinien hat oberste Priorität, um Infektionen zu vermeiden. Aus diesem Grund ist das Durchtrennen der Nabelschnur durch Laien im Rahmen eines Kaiserschnitts in Spitälern nicht üblich. "Ich kenne kein Spital, das eine Kaisergeburt anbietet – die Einhaltung der Hygienerichtlinien hat oberste Priorität", betont die Ärztin. Das Sectio-Fenster konzentriert sich auf das visuelle Erlebnis der Geburt, während die "Kaisergeburt" zusätzliche Interaktionen nach der Entbindung umfasst.
Das Kantonsspital Winterthur setzt mit dem Sectio-Fenster einen neuen Standard in der Geburtshilfe. Es ermöglicht Paaren ein intensiveres und emotionaleres Geburtserlebnis bei einem Kaiserschnitt, ohne die Sicherheit zu beeinträchtigen. Dies fördert nicht nur die Bindung zum Neugeborenen, sondern trägt auch dazu bei, den Geburtsmoment für die Eltern sichtbarer und greifbarer zu machen.





