Ein nicht akzeptierter Austritt aus dem Fitnesscenter, eine unbezahlte Rechnung von nur 40 Franken – und plötzlich beginnt ein jahrelanger Albtraum. Immer mehr Konsumentinnen und Konsumenten in der Schweiz geraten durch umstrittene Forderungen und aggressive Inkassomethoden in eine Spirale aus Druck, hohen Gebühren und zerstörter Kreditwürdigkeit.
Fälle wie diese zeigen ein systematisches Problem auf, das weit über Einzelschicksale hinausgeht. Im Zentrum der Kritik stehen oft Verträge mit automatischer Verlängerung und die Geschäftspraktiken von Inkassounternehmen, die aus kleinen Beträgen immense Forderungen konstruieren.
Das Wichtigste in Kürze
- Kleine, oft umstrittene Rechnungen von wenigen Franken können zu jahrelangen Betreibungen führen.
- Automatisch verlängerte Verträge, insbesondere bei Fitnesscentern, sind eine häufige Ursache für Konflikte.
- Inkassofirmen stehen wegen hoher Gebühren und aggressivem Vorgehen stark in der Kritik.
- Eine ungerechtfertigte Betreibung kann die Kreditwürdigkeit (Bonität) einer Person nachhaltig schädigen.
- Viele Betroffene und Konsumentenschützer fordern strengere gesetzliche Regelungen.
Der Anfang vom Ende: Eine nicht anerkannte Kündigung
Der Auslöser ist oft banal. Eine Kundin kündigt ihr Fitnessabonnement fristgerecht, doch das Unternehmen behauptet, die Kündigung nie erhalten zu haben oder sie sei ungültig. Der Vertrag verlängert sich automatisch um ein weiteres Jahr, und die erste Mahnung landet im Briefkasten. Weigert sich der Kunde zu zahlen, weil er die Forderung für unrechtmässig hält, wird der Fall schnell an ein Inkassobüro übergeben.
Ab diesem Moment beginnt die Eskalation. Aus einer ursprünglichen Forderung von beispielsweise 40 Franken werden durch Bearbeitungsgebühren, Verzugszinsen und weitere Posten schnell über 160 Franken. Dieser Prozess ist für viele Betroffene nicht nur finanziell belastend, sondern auch psychisch zermürbend.
Jahrelanger Druck wegen Kleinstbeträgen
Ein Betroffener berichtet von seinen Erfahrungen, die kein Einzelfall sind. Seit über 13 Jahren erhält er regelmässig Zahlungsaufforderungen von der Inkassofirma Intrum AG wegen einer ursprünglich unberechtigten Forderung von 40 Franken. Trotz mehrfacher Beweise, dass die Forderung haltlos ist, bleibt der Eintrag im System bestehen.
"Mein Bonitätsrating ist ruiniert – ein Beispiel, wie ein fehlerhaftes Inkassosystem Menschen jahrelang in Geiselhaft nimmt", so ein Betroffener.
Ein anderer Fall schildert eine ähnliche Situation: Wegen eines unverlangt zugestellten Buches im Wert von rund 30 Franken erhält sein Vater seit zwanzig Jahren Post von einem Inkassounternehmen. Solche Praktiken grenzen für viele an Nötigung und zeigen die Machtlosigkeit, der sich Konsumenten oft ausgesetzt fühlen.
Was ist eine Betreibung?
In der Schweiz kann jeder ohne Angabe von Gründen eine Betreibung gegen eine andere Person oder ein Unternehmen einleiten. Der Betroffene wird vom Betreibungsamt informiert und kann die Forderung entweder bezahlen oder Rechtsvorschlag erheben. Ein Rechtsvorschlag stoppt das Verfahren vorerst. Der Gläubiger muss dann vor Gericht beweisen, dass die Forderung berechtigt ist. Problematisch ist, dass auch ein ungerechtfertigter Betreibungseintrag im Register verbleibt und die Kreditwürdigkeit negativ beeinflussen kann.
Das Geschäftsmodell mit der automatischen Verlängerung
Ein zentraler Kritikpunkt vieler Konsumenten sind Verträge, die sich ohne explizite Zustimmung automatisch verlängern. Besonders in der Fitnessbranche ist dieses Modell weit verbreitet. Wer die oft kurzen Kündigungsfristen verpasst, ist für ein weiteres Jahr gebunden – ob er die Dienstleistung nutzt oder nicht.
Diese Vertragsklauseln werden als "Abzocke" und unfaires Geschäftsgebaren kritisiert. Viele Stimmen fordern ein Umdenken:
- Zustimmungspflicht: Eine Vertragsverlängerung sollte nur mit der aktiven Zustimmung des Kunden möglich sein.
- Transparenz: Kündigungsfristen und -bedingungen müssen klar und verständlich kommuniziert werden.
- Verbot: Einige fordern sogar ein generelles Verbot von sich automatisch verlängernden Verträgen.
Experten raten Konsumenten, Verträge sofort nach Abschluss schriftlich per Einschreiben zu kündigen und sich den Erhalt bestätigen zu lassen. Dies sei zwar umständlich, könne aber viel Ärger ersparen.
Tipps zum Schutz vor der Inkassofalle
- Kündigungen immer per Einschreiben: Versenden Sie Kündigungen ausschliesslich per Einschreiben und bewahren Sie die Quittung auf.
- Fristen im Kalender eintragen: Notieren Sie sich Kündigungsfristen direkt nach Vertragsabschluss.
- Bei ungerechtfertigten Forderungen reagieren: Ignorieren Sie Mahnungen nicht. Widersprechen Sie der Forderung schriftlich und begründet.
- Rechtsvorschlag erheben: Erheben Sie bei einer ungerechtfertigten Betreibung sofort Rechtsvorschlag beim Betreibungsamt.
- Hilfe suchen: Wenden Sie sich bei Problemen an den Konsumentenschutz oder eine Rechtsberatung.
Der Ruf nach politischem Handeln wird lauter
Die zunehmende Zahl von Beschwerden über Inkassofirmen und unfaire Vertragspraktiken hat eine breite Debatte ausgelöst. Viele Bürgerinnen und Bürger fühlen sich vom Gesetzgeber im Stich gelassen und fordern klare Regeln, um die Macht der Inkassounternehmen zu begrenzen.
Eine zentrale Forderung ist die Reform des Betreibungswesens. Selbst wenn eine Betreibung nach einem Rechtsvorschlag nicht weiterverfolgt wird, bleibt der Eintrag im Register sichtbar. Dies führt bei der Wohnungssuche oder bei Kreditanträgen regelmässig zu Problemen, da die Betroffenen fälschlicherweise als schlechte Zahler dastehen.
Unternehmen tragen Mitverantwortung
Kritik richtet sich aber auch an die Unternehmen, die mit solchen Inkassofirmen zusammenarbeiten. Oft werden Forderungen vorschnell an externe Dienstleister übergeben, ohne den Sachverhalt intern genau zu prüfen. Administrative Fehler aufseiten der Firmen können so dazu führen, dass loyale Kunden zu Unrecht betrieben werden.
Die Aussage "Da können wir nichts mehr machen, das liegt jetzt beim Inkasso" hören Betroffene häufig. Diese Haltung wird als verantwortungslos kritisiert. Letztlich liegt es in der Hand der Politik, einen rechtlichen Rahmen zu schaffen, der Konsumenten besser vor ungerechtfertigten Forderungen und deren schwerwiegenden Folgen schützt.





