Die Stimmberechtigten der Stadt Zürich haben der Volksinitiative für ein jährliches ÖV-Abonnement zum Preis von 365 Franken deutlich zugestimmt. Mit einem Ja-Anteil von 63,13 Prozent wurde der Vorschlag der SP angenommen. Trotz der breiten Zustimmung äussern der Stadtrat und Verkehrsexperten erhebliche Bedenken hinsichtlich der Finanzierung und der langfristigen Entwicklung des öffentlichen Verkehrs.
Das Wichtigste in Kürze
- Die Zürcher Bevölkerung hat die Initiative für ein 365-Franken-Jahresabo mit 63,13 Prozent angenommen.
- Die Massnahme wird die Stadt Zürich jährlich rund 140 Millionen Franken kosten.
- Stadtrat und Verkehrsexperten befürchten, dass die Mittel für den notwendigen Ausbau des ÖV-Netzes fehlen werden.
- Die Umsetzung des günstigeren Abos wird voraussichtlich mindestens zwei Jahre in Anspruch nehmen.
Ein deutliches Signal der Wähler
Die Initiative für ein stark vergünstigtes Jahresabonnement für den öffentlichen Verkehr in der Stadt Zürich hat eine klare Mehrheit gefunden. Die Abstimmungsergebnisse zeigen eine breite Unterstützung über die politischen Lager hinweg. Nicht nur traditionell linke Stadtkreise wie die Kreise 4 und 5, wo die Zustimmung bei 69,45 Prozent lag, stimmten für die Vorlage. Auch in Quartieren wie Fluntern, Hottingen und Witikon fand die Idee Anklang.
Die Initianten der SP und die Grünen sehen das Resultat als einen wichtigen Schritt zu mehr sozialer Gerechtigkeit. «Die Menschen haben ein starkes und unmissverständliches Signal gesetzt: Mobilität darf kein Luxus sein», erklärte SP-Gemeinderat Severin Meier. Er forderte eine rasche Umsetzung, damit die Bevölkerung direkt von der Entlastung profitieren könne. Dominik Waser von den Grünen ergänzte, dass das Abo gezielt Familien, Studierende und Menschen mit geringem Einkommen unterstütze und somit «ein Gewinn für alle» sei.
Stadtrat und Experten warnen vor finanziellen Folgen
Auf Seiten der Stadtregierung und Fachleuten aus dem Verkehrswesen wird das Ergebnis kritisch bewertet. Der Stadtrat respektiere zwar den demokratischen Entscheid, sehe aber grosse Herausforderungen auf die Stadt zukommen. Michael Baumer, Vorsteher des Departements der Industriellen Betriebe (FDP), äusserte sich auf einer Medienkonferenz besorgt.
«Wir respektieren den Entscheid, aber er bringt auch viele finanzielle und operative Herausforderungen. Diese Mittel bräuchten wir eigentlich für den Ausbau.»
Die jährlichen Kosten von 140 Millionen Franken seien die grösste Hürde. Laut Baumer ist die Finanzierung dieser Summe noch unklar. Er betonte, dass dieses Geld für die Verbesserung und Erweiterung des ÖV-Angebots dringend benötigt werde, um der wachsenden Nachfrage gerecht zu werden.
Das «Giesskannenprinzip» in der Kritik
Ein zentraler Kritikpunkt des Stadtrats ist die undifferenzierte Verteilung der Subventionen. Anstatt gezielt Personen mit niedrigem Einkommen zu unterstützen, profitieren alle Einwohner der Stadt von der Preissenkung. Michael Baumer hätte eine Lösung bevorzugt, bei der nur Personen mit Anspruch auf Krankenkassenverbilligungen eine Verbilligung des Abos erhalten hätten. Dies hätte die finanziellen Mittel gezielter eingesetzt.
Umsetzung wird Jahre dauern
Die praktische Umsetzung des 365-Franken-Abos wird nicht sofort erfolgen. Stadtrat Baumer schätzt, dass es mindestens zwei Jahre dauern wird, bis die Stadtzürcherinnen und Stadtzürcher von dem günstigeren Preis profitieren können. Ein Grund dafür ist, dass die Stadt Zürich dem Zürcher Verkehrsverbund (ZVV) keine Preise vorschreiben kann.
Als mögliche Lösungsansätze werden Modelle wie eine Rückerstattung auf Antrag oder die Verteilung von Gutscheinen an die berechtigte Bevölkerung diskutiert. Die genauen Modalitäten müssen jedoch erst noch ausgearbeitet werden, was einen erheblichen administrativen Aufwand bedeutet.
Skepsis bei Verkehrsverbänden und Planern
Auch ausserhalb der Stadtpolitik stösst der Entscheid auf Kritik. Ueli Stückelberger, Direktor des Verbands öffentlicher Verkehr (VöV), sieht das Zürcher Modell als problematisches Signal für andere Städte und Gemeinden. Er argumentiert, dass eine reine Preissenkung nicht das Hauptziel sein sollte.
«Um den ÖV-Anteil zu steigern, gilt es, das ÖV-Angebot zu verbessern und auszubauen», so Stückelberger. Wenn die Einnahmen aus Ticketverkäufen wegbrechen, fehle das Geld für Investitionen in die Infrastruktur. Er hofft daher, dass das Zürcher Modell keine landesweite Nachahmung findet.
Beispiel Wien: Mehr Abos, aber nicht mehr Fahrgäste?
Verkehrsplaner wie der Zürcher GLP-Gemeinderat Sven Sobernheim verweisen auf das Beispiel Wien, wo ein ähnliches 365-Euro-Ticket eingeführt wurde. Laut Sobernheim hätten die Erfahrungen dort gezeigt, dass die Nutzungszahlen des öffentlichen Verkehrs durch den günstigeren Preis nicht signifikant anstiegen. Der Haupteffekt sei gewesen, dass bestehende Nutzer von Einzeltickets auf das günstigere Jahresabo umgestiegen seien. Ein Umstieg vom Auto auf den ÖV sei kaum erfolgt.
Sobernheim teilt die Ansicht, dass die Preissenkung der falsche Weg sei. «Der einzige Weg, damit mehr Leute aufs Auto verzichten, sei der Ausbau und die Förderung des öffentlichen Verkehrs», sagte er. Die Mitte Stadt Zürich schliesst sich dieser Meinung an und bezeichnete die Initiative in einer Mitteilung als «teure, für die meisten unnötige Massnahme», die «keinen ökologischen Nutzen» bringe.
Ein gespaltenes Echo
Die Entscheidung für das 365-Franken-Abo spaltet die Meinungen in Zürich deutlich. Während die Befürworter einen wichtigen sozialen Fortschritt feiern, warnen Kritiker vor den langfristigen Konsequenzen für die Qualität und den Ausbau des öffentlichen Verkehrs. Die kommenden Jahre werden zeigen, wie die Stadt die finanzielle Last stemmen und gleichzeitig die notwendigen Investitionen in das Verkehrsnetz sicherstellen wird.





