Ein ambitioniertes Digitalisierungsprojekt im Kanton Zürich steht vor dem Aus. Nach 13 Jahren Entwicklungszeit und Investitionen in Millionenhöhe hat die Regierung die Einführung einer neuen Verwaltungssoftware für 160 Gemeinden vorerst gestoppt. Warnungen vor einem drohenden Chaos und einem unfertigen System zwangen die Verantwortlichen zum Handeln.
Die Entscheidung wirft ein Schlaglicht auf eine lange Kette von Problemen, die das Projekt von Anfang an begleiteten. Was als Vorzeigeprojekt für eine moderne Verwaltung geplant war, hat sich zu einem kostspieligen und frustrierenden Debakel entwickelt.
Die wichtigsten Punkte
- Ein IT-Grossprojekt zur Digitalisierung von 160 Zürcher Gemeinden wurde auf unbestimmte Zeit verschoben.
- Das Projekt läuft bereits seit 13 Jahren und hat hohe Kosten in Millionenhöhe verursacht.
- Die Zürcher Finanzkontrolle hat die Beschaffung der Software kritisch untersucht und Mängel aufgedeckt.
- Die Justizdirektion unter Jacqueline Fehr steht wegen des langjährigen Scheiterns in der Kritik.
Ein abrupter Stopp kurz vor dem Ziel
Die Nachricht kam überraschend und doch nicht ganz unerwartet. Die geplante flächendeckende Einführung einer neuen einheitlichen Software für die Gemeindeverwaltungen im Kanton Zürich wurde auf Eis gelegt. Ursprünglich sollten 160 Gemeinden gleichzeitig auf das neue System umstellen, ein Kraftakt für die kantonale und kommunale Verwaltung.
Doch kurz vor dem geplanten Start zogen die Behörden die Notbremse. Interne Berichte und Warnungen von Experten zeichneten ein düsteres Bild: Das System sei nicht stabil genug für einen flächendeckenden Einsatz. Es wurde befürchtet, dass wichtige administrative Prozesse wie die Einwohnerkontrolle oder das Steuerwesen ins Stocken geraten oder gar zusammenbrechen könnten. Ein solches Szenario wollte die Kantonsregierung unter allen Umständen vermeiden.
Die Verschiebung ist mehr als nur eine technische Verzögerung. Sie ist der vorläufige Höhepunkt einer langen und problematischen Entwicklungsgeschichte, die das Vertrauen in die digitale Transformation der öffentlichen Hand auf eine harte Probe stellt.
Die Folgen für die Gemeinden
Für die betroffenen Gemeinden bedeutet der Stopp eine grosse Unsicherheit. Viele haben sich seit Monaten auf die Umstellung vorbereitet, Mitarbeitende geschult und interne Prozesse angepasst. Diese Vorbereitungen waren mit erheblichem Aufwand und Kosten verbunden.
Nun stehen die Gemeindeverwaltungen vor der Frage, wie es weitergeht. Sie müssen vorerst mit ihren alten, oft veralteten Systemen weiterarbeiten und gleichzeitig auf neue Anweisungen aus Zürich warten. Die Kommunikation über die nächsten Schritte wird entscheidend sein, um den Frust in den Gemeinden zu minimieren.
Kontext: Digitalisierung der Verwaltung
Die Vereinheitlichung der IT-Systeme in den Gemeinden ist ein zentrales Ziel vieler Kantone. Eine einheitliche Software soll die Zusammenarbeit zwischen den Gemeinden und dem Kanton erleichtern, Prozesse effizienter gestalten und langfristig Kosten sparen. Solche Projekte sind jedoch äusserst komplex, da sie die unterschiedlichen Bedürfnisse und Strukturen von Dutzenden oder Hunderten von Gemeinden berücksichtigen müssen.
Eine Odyssee über 13 Jahre
Die Wurzeln des Problems reichen weit zurück. Vor über einem Jahrzehnt, im Jahr 2011, wurde das Projekt ins Leben gerufen. Das Ziel war ehrgeizig: eine moderne, flexible und leistungsfähige Softwarelösung, die die Zürcher Verwaltung ins digitale Zeitalter führen sollte. Man sprach von einer «Wunderwaffe», die Effizienz und Bürgernähe revolutionieren sollte.
Doch die Realität sah anders aus. Die Entwicklung verlief harzig, Termine wurden immer wieder verschoben und die Kosten stiegen kontinuierlich an. Interne Querelen, wechselnde Zuständigkeiten und technische Schwierigkeiten bremsten den Fortschritt. Ein erster Versuch, die Software einzuführen, scheiterte bereits vor einigen Jahren spektakulär.
Trotz eines Neustarts und einer Neuausrichtung des Projekts konnten die grundlegenden Probleme offenbar nie vollständig gelöst werden. Die Software, die ursprünglich von der Justizdirektion unter der Leitung von Regierungsrätin Jacqueline Fehr verantwortet wurde, entwickelte sich zu einem Sorgenkind der kantonalen Politik.
Zahlen zum Projekt
Obwohl genaue Gesamtkosten schwer zu beziffern sind, gehen Schätzungen von einem zweistelligen Millionenbetrag aus, der über die Jahre in die Entwicklung und Anpassung der Software geflossen ist. Die lange Projektdauer von 13 Jahren ist für ein IT-Projekt dieser Art aussergewöhnlich und ein Indikator für tiefgreifende strukturelle Probleme.
Kritik von der Finanzkontrolle
Die anhaltenden Schwierigkeiten riefen schliesslich die Finanzkontrolle des Kantons Zürich auf den Plan. In einem Prüfbericht nahmen die Kontrolleure insbesondere die Beschaffung der Software unter die Lupe. Sie identifizierten Mängel im Vergabeprozess und stellten kritische Fragen zur Wirtschaftlichkeit und Steuerung des Projekts.
Der Bericht der Finanzkontrolle bestätigte, was viele Kritiker schon lange vermutet hatten: Das Projektmanagement war überfordert, die Aufsicht unzureichend und die strategischen Entscheidungen nicht immer nachvollziehbar. Die Untersuchung legte offen, dass die Komplexität des Vorhabens von Anfang an unterschätzt wurde.
Die Ergebnisse der Finanzkontrolle sind ein klares Signal, dass bei grossen IT-Projekten des Kantons eine strengere Aufsicht und ein transparenteres Vorgehen notwendig sind, um eine Wiederholung solcher kostspieligen Fehler zu verhindern.
Diese externe Prüfung erhöhte den Druck auf die Justizdirektion und die gesamte Kantonsregierung, endlich Konsequenzen zu ziehen. Der nun erfolgte Stopp der Einführung kann auch als direkte Reaktion auf die vernichtende Analyse der Finanzexperten gesehen werden.
Wie geht es weiter mit der digitalen Verwaltung?
Die Zukunft des Projekts ist ungewiss. Die Verantwortlichen haben angekündigt, die Situation nun gründlich zu analysieren. Es muss geklärt werden, ob die bestehende Software mit weiterem Aufwand noch gerettet werden kann oder ob ein kompletter Neuanfang unumgänglich ist. Letzteres würde bedeuten, dass die Investitionen der letzten 13 Jahre grösstenteils verloren wären.
Für den Kanton Zürich ist dieses Scheitern ein herber Rückschlag. Es beschädigt nicht nur das Ansehen der Verwaltung, sondern wirft auch grundsätzliche Fragen zur Kompetenz des Staates bei der Umsetzung grosser Technologieprojekte auf. Die Zürcher Stimmbürger und Steuerzahler werden zurecht Antworten verlangen, wie es zu diesem millionenschweren Debakel kommen konnte und wer die politische Verantwortung dafür trägt.
Eines ist sicher: Der Weg zu einer modernen und bürgerfreundlichen digitalen Verwaltung im Kanton Zürich ist nach diesem Vorfall noch deutlich länger und steiniger geworden.





