Das Zürcher Quartier Seebach erlebt einen rasanten Wandel. In den kommenden Jahren sollen hier rund 2400 neue Wohnungen entstehen. Diese Entwicklung prägt das zweitgrösste Quartier Zürichs, das sich zwischen ländlichen Zonen im Westen und dichter Bebauung im Osten erstreckt.
Wichtige Punkte
- Seebach ist Zürichs zweitgrösstes Quartier mit 28'000 Einwohnern.
- Über 2400 neue Wohnungen sind in den nächsten sechs Jahren geplant.
- Die Bevölkerung ist multikulturell, der Anteil an Menschen mit Migrationshintergrund liegt bei 42 Prozent.
- Steigende Mietpreise und der Verlust von Freiräumen sind zentrale Herausforderungen.
- Ein Gebietsmanager soll die städtebauliche Entwicklung koordinieren.
Rasanter Wandel und demografische Entwicklung
Seebach, im Kreis 11 gelegen, grenzt an Oerlikon und ist heute ein Quartier im Umbruch. Mustafa Deveciler, Betreiber der Shisha-Bar Mahsen an der Friesstrasse, beobachtet die Veränderungen seit 17 Jahren. Er liebt die Nähe der beiden Quartiere, auch wenn sein Geschäft nach der Corona-Pandemie ruhiger geworden ist.
Die Friesstrasse, einst als «Balkan-Ausgangsmeile» bekannt und sogar im Wikipedia-Eintrag von Seebach erwähnt, ist an einem Donnerstagabend eher still. Deveciler hofft auf die neuen Bewohner, die den Umsatz seiner Bar wieder ankurbeln könnten.
Faktencheck Seebach
- Einwohnerzahl: Rund 28'000 (zweitgrösstes Quartier Zürichs nach Altstetten).
- Anteil Migrationshintergrund: 42 Prozent (städtischer Durchschnitt: 34 Prozent).
- Sicherheitsgefühl: 72 Prozent fühlen sich nachts sicher (städtischer Durchschnitt: 85 Prozent).
Das Quartier hat sich in den letzten zwei Jahrzehnten stark verändert. Während der Westen von Feldern und Landwirtschaft geprägt ist, dominieren im Osten Betonbauten wie der SRF-Meteo-Tower und die Quadro-Hochhäuser. Diese geografische und bauliche Vielfalt macht Seebach einzigartig.
Herausforderungen des Zusammenlebens
Die Grenzen zwischen Oerlikon und Seebach sind selbst für langjährige Bewohner oft unklar. Sven Sobernheim, Präsident des Quartiervereins und GLP-Gemeinderat, berichtet von Neuzuzügern, die überrascht sind, dass sie in Seebach wohnen und nicht in Oerlikon. Er beschreibt Seebach als ein Quartier, in das man primär zum Wohnen kommt, nicht als Ziel für Ausflüge.
Seebach ist ein multikulturelles Quartier. Sevin Satan, Migrationsfachfrau und Geschäftsführerin des Vereins Zusammenleben im Kolbenacker, setzt sich für die Integration und den Abbau von Vorurteilen ein. Ihr Verein organisiert offene Treffpunkte, Spielnachmittage und Sprachkurse, um das Gemeinschaftsgefühl zu stärken.
"Wenn wir Feste feiern, sprechen wir 80 Prozent der Zeit Englisch", sagt Sabine Aquilini, Betriebsleiterin des Gemeinschaftszentrums Seebach. "Die GZ-Besucher sprechen Spanisch, Indisch, Türkisch, viele sind Expats. Das Zusammenleben funktioniert gut. Aber das ist ein fragiles Gefüge. Dem müssen wir Sorge tragen."
Diese sprachliche Vielfalt, obwohl ein Zeichen von Weltoffenheit, stösst bei manchen auf Bedenken. Stephan Iten, SVP-Gemeinderat und seit fast 30 Jahren in Seebach wohnhaft, sieht das schnelle Wachstum kritisch. Er befürchtet, dass das frühere "Land der Stadt" rasant verschwindet und die deutsche Sprache an Bedeutung verliert.
Hintergrund: Seebachs Ruf
Der Ruf Seebachs war in der Vergangenheit nicht immer positiv. Eine Befragung der Stadt Zürich zeigt, dass sich das Sicherheitsgefühl der Bewohner mit 72 Prozent unter dem städtischen Durchschnitt von 85 Prozent befindet. Banaz Mardan, die seit fast 30 Jahren in Seebach wohnt, widerspricht dem "Ghetto-Image" des Quartiers vehement. Sie fühlt sich sehr sicher und schätzt die Grünflächen und Spielplätze.
Wohnungsbau und steigende Mieten
Der massive Wohnungsbau ist ein zentrales Thema in Seebach. Allein in den nächsten sechs Jahren sind über 2400 neue Wohnungen geplant. In den letzten 16 Jahren entstanden bereits über 3850 neue Wohneinheiten. Peter Jenni, Architekt und Dozent an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW), prognostiziert: "In den nächsten zehn bis zwanzig Jahren wird Seebach ein Hotspot der baulichen Entwicklung sein."
Grosse Bauvorhaben prägen das Bild: Die Pensionskasse von Coop plant bis 2029 zwei Hochhäuser mit 374 Wohnungen an der Thurgauer- und Leutschenbachstrasse. Der Versicherer Swiss Life errichtet ein Hochhaus mit 224 Wohnungen. Auf dem Areal Thurgauerstrasse entstehen zudem rund 800 gemeinnützige Wohnungen. Auch die Siedlung Birch der Baugenossenschaft Linth-Escher wird bis 2027 auf 291 Wohnungen verdoppelt.
Diese Entwicklung führt jedoch zu steigenden Mietpreisen. Obwohl Seebach im Vergleich zu anderen Quartieren noch günstigere Mieten aufweist, ist laut Peter Jenni die "Verdrängung auch in Seebach angekommen". Selbst in Genossenschaftswohnungen steigen die Mieten, was für einen Teil der Bevölkerung eine finanzielle Belastung darstellt. Bewohner befürchten den Verlust identitätsstiftender Quartierstrukturen.
Geplante Neubauprojekte (Auswahl)
- Coop Pensionskasse: 374 Wohnungen (Thurgauer-/Leutschenbachstrasse) bis 2029.
- Swiss Life: 224 Wohnungen (Hochhaus).
- Areal Thurgauerstrasse: Rund 800 gemeinnützige Wohnungen.
- Siedlung Birch (Baugenossenschaft Linth-Escher): Verdoppelung auf 291 Wohnungen bis 2027.
Um die Koordination der städtischen und privaten Projekte zu verbessern, hat die Stadt Zürich 2024 einen Gebietsmanager eingesetzt. Dieser soll eine kohärente Entwicklung des Quartiers sicherstellen.
Freiräume und Identität
Die zunehmende Bebauung und Verdichtung beeinflusst auch das Leben der Jugendlichen in Seebach. Avni Jashanica, der seit 25 Jahren als Jugendarbeiter im Quartier tätig ist, stellt fest, dass Freiräume für Teenager immer knapper werden. "An den Orten, wo Jugendliche früher ungestört Musik hören konnten, stehen heute Wohnblöcke", erklärt er.
Jashanica, der selbst vor 25 Jahren aus dem Kosovo in die Schweiz kam, hat die Entwicklung Seebachs hautnah miterlebt. Er betont, dass das frühere "Ghetto-Image" des Quartiers der Vergangenheit angehört. "Heute ist Seebach eine Stadt", sagt er. Viele, die hier aufgewachsen sind, kehren später zurück, um Familien zu gründen, was die starke Verbindung zum Quartier unterstreicht.
Am Seebacherplatz dominieren Coiffeurläden, Detailhändler und Dönerbuden das Bild der vierspurigen Schaffhauserstrasse. Schicke Yoga-Boutiquen oder Barista-Läden sucht man hier noch vergeblich. Doch auch das wird sich ändern, ist Sven Sobernheim überzeugt. "Hier draussen findet die Verdichtung statt. Die 100’000 Menschen mehr, die nach Zürich kommen, die kommen nicht ins Seefeld oder in den Kreis 3 – sie kommen zu einem grossen Teil nach Seebach."
Mustafa Deveciler, der Shisha-Bar-Besitzer, sieht in dieser Entwicklung eine Chance. Er plant, seine Bar um eine Küche zu erweitern und türkische Gerichte anzubieten. Er hofft, dass die vielen Neuzuzüger seine Geschäfte beleben und er mit Shisha und Baklava wieder erfolgreich sein wird.





