Anfang Februar 2022 stürzte ein Teil der Fassade des "Claudia House of Sounds" an der Zürcherstrasse in Winterthur-Töss während des Sturmtiefs Roxana herab. Glücklicherweise wurde niemand verletzt. Eine spätere Expertise bestätigte gravierende Mängel bei der Fassadensanierung, die 2012 durchgeführt wurde. Trotz des festgestellten Baupfuschs wurde das Strafverfahren eingestellt, da die Verjährungsfrist abgelaufen war. Die Eigentümerin des Gebäudes, die Zürichparis AG, muss den entstandenen Millionenschaden voraussichtlich selbst tragen.
Wichtige Erkenntnisse
- Im Februar 2022 riss der Sturm Roxana Teile der Fassade des "Claudia House of Sounds" ab.
- Eine Expertise beurteilte die Fassadensanierung von 2012 als "grobfahrlässig" ausgeführt.
- Das Strafverfahren wurde nach dreieinhalb Jahren wegen Verjährung eingestellt.
- Die Eigentümerin trägt den Millionenschaden voraussichtlich selbst.
Sturmschäden enthüllen gravierende Mängel
Das Sturmtief Roxana zog Anfang Februar 2022 mit Windgeschwindigkeiten von über 100 Kilometern pro Stunde über die Schweiz. Bei der Kantonspolizei gingen mehr als 60 Meldungen zu Sturmschäden ein. Der Vorfall in Winterthur-Töss, bei dem grosse Dämmplatten von der Fassade des "Claudia House of Sounds" auf die Zürcherstrasse fielen, war einer der auffälligsten.
Die Zürcherstrasse musste daraufhin zwischen Winterthur-Töss und Kemptthal in beide Richtungen gesperrt werden. Dieser Vorfall warf sofort Fragen nach der Ursache auf. Die Polizei nahm Ermittlungen auf, und die Staatsanwaltschaft leitete ein Verfahren wegen möglicher Straftatbestände wie Betrug und Gefährdung durch Verletzung der Regeln der Baukunde ein.
Faktencheck: Sturmtief Roxana
- Datum: Anfang Februar 2022
- Windgeschwindigkeiten: Über 100 km/h
- Meldungen an Kantonspolizei Zürich: Mehr als 60
Die Rolle der verantwortlichen Fassadenfirma
Im Zentrum der Ermittlungen stand die Firma Isola-Allround GmbH (Name geändert), die 2012 die Fassadensanierung durchgeführt hatte. Die Zürichparis AG hatte das Gebäude 2011 erworben und ein Jahr später umfassend sanieren lassen. Die Isola-Allround GmbH wurde jedoch bereits im März 2018 aus dem Handelsregister gelöscht.
Die Hauptbeschuldigten, der ehemalige Geschäftsführer (67) und dessen Ehefrau (62), die ebenfalls Mitinhaberin war, leben seit längerer Zeit in Valencia, Spanien. Eine Befragung zu den Vorwürfen konnte daher nicht erfolgen. Dies erschwerte die Ermittlungen erheblich.
"Bei der Fassadensanierung sind die Regeln der Baukunde aufs Gröbste verletzt worden."
Verjährung verhindert strafrechtliche Folgen
Eine zwölfseitige Verfügung der Staatsanwaltschaft Winterthur/Unterland, die dieser Redaktion vorliegt, zeigt, dass das Strafverfahren nach gut dreieinhalb Jahren eingestellt wurde. Der Grund dafür war die Verjährung der Straftatbestände. Gemäss Schweizer Recht verjährt die Strafverfolgung wegen Verstosses gegen die Regeln der Baukunde nach zehn Jahren.
Im vorliegenden Fall erfolgte die definitive Bauabnahme nach der Sanierung im Oktober 2012. Die Verjährungsfrist endete somit im Oktober 2022. Zu Beginn der Untersuchung war dieser Zeitpunkt noch nicht bekannt. Die strafrechtliche Aufarbeitung des Falles konnte daher nicht abgeschlossen werden.
Hintergrund: Verjährungsfristen im Baurecht
In der Schweiz sind strafrechtliche Vergehen im Baubereich oft an Verjährungsfristen gebunden. Diese Fristen beginnen in der Regel mit der Abnahme des Bauwerks oder dem Abschluss der Arbeiten. Nach Ablauf dieser Frist können keine strafrechtlichen Schritte mehr eingeleitet werden, selbst wenn ein Verschulden nachweisbar wäre.
"Grobfahrlässige" Ausführung der Fassadenarbeiten
Unabhängig von der Verjährung bestätigt die Verfügung der Staatsanwaltschaft, dass es sich um Baupfusch handelte. Eine von der Staatsanwaltschaft in Auftrag gegebene Expertise eines Fachmanns aus dem Gipsergewerbe kam zu einem klaren Ergebnis: Die Fassadensanierung wurde "grobfahrlässig" ausgeführt und die Regeln der Baukunde "aufs Gröbste verletzt".
Die 20 Zentimeter dicken Dämmplatten aus Steinwolle wurden unsachgemäss montiert. Die Mängel umfassten mehrere Bereiche:
- Kleberauftrag: Der Kleber wurde teils nur punktuell aufgetragen oder die Kleberschicht war dicker als zwei Zentimeter, beides ist nicht normgerecht.
- Dübelbefestigung: Die verwendeten Dübel waren grösstenteils zu kurz und drangen nicht in das darunterliegende Mauerwerk ein.
- Oberflächenbehandlung: Die Ostfassade war mit Graffiti beschichtet, diese Oberfläche wurde nicht vorbehandelt. Klebstoff haftet auf unbehandeltem Graffiti nicht.
Diese Fehler führten dazu, dass die Fassadenkonstruktion nicht die erforderliche Stabilität besass und den Kräften des Sturms nicht standhalten konnte.
Das System der Fassadenfirma
Die Befragungen verschiedener involvierter Personen durch den Staatsanwalt gaben Einblicke in die Arbeitsweise der Isola-Allround GmbH. Die Firma beschäftigte kaum eigene Angestellte, sondern setzte auf Subunternehmer. Dies ermöglichte es, auch bei tiefen Offerten Gewinne zu erzielen.
Die auf der Baustelle in Winterthur eingesetzten Arbeiter waren laut Aussagen in der Regel ausländische Hilfsarbeiter ohne ausreichende Sprach- und Fachkenntnisse. Der Geschäftsführer der Isola-Allround soll zudem Druck auf den Subunternehmer ausgeübt haben, um Verzögerungen aufzuholen. Er brachte zusätzliche Gruppen von ungarischen oder bulgarischen Arbeitern, mutmasslich ungelerntes Personal, auf die Baustelle.
Der Chef des Subunternehmens sagte gegenüber der Staatsanwaltschaft aus: "Von da an hat niemand mehr genau gewusst, wer was machte." Er behauptete ausserdem, dass die Isola-Allround seinem Unternehmen insgesamt 1,9 Millionen Franken aus verschiedenen Aufträgen schuldig geblieben sei. Diese Behauptung konnte jedoch nicht überprüft werden.
Warnungen ignoriert, Sprachbarrieren erschweren Kommunikation
Der Geschäftsführer des Hauptlieferanten gab zu Protokoll, er habe den Chef der Isola-Allround vergeblich darauf hingewiesen, dass dieser zu kurze Dübel bestellt habe. Eine weitere beteiligte Person berichtete, die Zusammenarbeit mit der Isola-Allround sei schwierig gewesen, da auf der Baustelle niemand Deutsch gesprochen habe. Diese Kommunikationsschwierigkeiten trugen vermutlich zu den gravierenden Mängeln bei.
Betrugsvorwurf nicht nachweisbar
Der Vorwurf des Betrugs konnte ebenfalls nicht bewiesen werden. Für einen Betrugsnachweis hätte den Beschuldigten nachgewiesen werden müssen, dass sie bereits zum Zeitpunkt der Offertstellung die Absicht hatten, die Sanierungsarbeiten nicht sorgfältig auszuführen. Dies hätte bedeutet, dass von Anfang an die Absicht bestand, billiges, unpassendes oder zu wenig Material einzukaufen oder die Arbeiten von unqualifiziertem Personal ausführen zu lassen.
"Dieser Nachweis gelingt klarerweise nicht", hält der Staatsanwalt in seiner Verfügung fest. Obwohl die Isola-Allround nicht alle Materialkomponenten beim spezialisierten Hauptlieferanten bestellte, konnte nicht mehr festgestellt werden, "was genau bei wem und in welchen Mengen eingekauft wurde".
Die Eigentümerin trägt den Schaden
Mit der Einstellung des Verfahrens ist der strafrechtliche Teil abgeschlossen. Die Frage, wer den entstandenen Millionenschaden trägt, bleibt. Es sieht so aus, als ob die Zürichparis AG, die Eigentümerin der Liegenschaft, den Schaden selbst tragen muss. Trotz der Möglichkeit, ein Zivilgerichtsverfahren anzustrengen, wird die Zürichparis AG darauf verzichten.
Nach juristischer Beratung wurde festgestellt, dass auch im Zivilrecht inzwischen alles verjährt ist. Die Eigentümerin hat die Liegenschaft "Claudia House of Sounds" in "Gewerbehaus Passant" umbenannt. Das Gebäude ist derzeit vollständig eingerüstet, und die Fassade wird komplett erneuert. Die ursprünglichen Pläne, das Gebäude zu verkaufen, werden von der Eigentümerin nicht mehr weiterverfolgt.





