In Winterthur-Seen hat Coop ein besonderes Projekt gestartet: Eine gesamte Supermarkt-Filiale wird seit Ende August von zehn Lernenden geführt. Sie übernehmen die volle Verantwortung für den täglichen Betrieb, von der Personalplanung bis zur Warenbestellung. Dieses Ausbildungskonzept ist das erste seiner Art in Winterthur und soll junge Talente auf zukünftige Führungsaufgaben vorbereiten.
Das Wichtigste in Kürze
- Zehn Detailhandels-Lernende leiten eigenständig die Coop-Filiale in Winterthur-Seen.
- Zu ihren Aufgaben gehören Personalplanung, Warenmanagement und Kundenbetreuung.
- Drei erfahrene Coaches unterstützen das junge Team im Hintergrund.
- Das Projekt dient der gezielten Förderung von Nachwuchsführungskräften im Detailhandel.
Ein innovatives Ausbildungskonzept
Die Coop-Filiale an der Seenerstrasse trägt an ihrer Fassade den gut sichtbaren Schriftzug „Coop-Lernenden-Filiale“. Es ist die fünfte Verkaufsstelle dieser Art in der Schweiz, aber eine Premiere für die Stadt Winterthur. Das Konzept sieht vor, dass Lernende, meist im dritten Lehrjahr, für einen längeren Zeitraum die komplette Verantwortung für einen Supermarkt übernehmen.
Die Bewerbung für einen Platz in diesem Programm erfolgte über ein Video. Ausgewählt wurden junge Menschen, die den Willen zeigten, frühzeitig mehr Verantwortung zu übernehmen. Für die zehn ausgewählten Lernenden bedeutet dies, dass sie nicht nur Aufgaben ausführen, sondern den gesamten Betrieb selbstständig organisieren.
Frühe Verantwortung als Karrieresprungbrett
Niklas Wechner, 18 Jahre alt und im dritten Lehrjahr, hat für drei Monate die Position des stellvertretenden Geschäftsführers inne. „Man muss an sehr viel denken“, erklärt er, während er Joghurt im Kühlregal einräumt. Für ihn ist die geistige Herausforderung gross, aber er schätzt die Möglichkeit, selbstständig zu arbeiten. „Ich finde es total cool, dass wir so selbstständig arbeiten können“, sagt er.
Auch die 19-jährige Merve Kurtuldu, ebenfalls im dritten Lehrjahr, sieht die Vorteile. Sie ist an diesem Tag für die Heisstheke und das Brot zuständig. „Früher hiess es manchmal ‹Merve, mach dies, Merve, mach das›“, erzählt sie. „Hier hingegen weiss ich genau, was ich als Nächstes zu tun habe, und kann es mir selber einteilen.“ Diese Autonomie fördert das vorausschauende Denken und die Eigeninitiative.
Führungserfahrung bereits in der Lehre
Das Modell der Lernenden-Filiale ermöglicht es Auszubildenden, praktische Führungserfahrung zu sammeln, die in einer herkömmlichen Lehre oft erst Jahre später möglich wäre. Sie lernen, Entscheidungen zu treffen, im Team zu arbeiten und mit den Konsequenzen ihres Handelns umzugehen. Dies beschleunigt ihre berufliche Entwicklung erheblich.
Der Alltag in der von Lernenden geführten Filiale
Der Tagesablauf in der Seener Filiale unterscheidet sich auf den ersten Blick kaum von dem anderer Supermärkte. Die Regale müssen gefüllt, Bestellungen aufgegeben und Kunden beraten werden. Der Unterschied liegt in der Organisation hinter den Kulissen. Die zehn Lernenden erstellen die Einsatzpläne, planen Aktionen und kümmern sich um die gesamte Administration.
Ryan Bannwart, 18, ist heute für die Annahme der Frischwarenlieferung und die Fleischabteilung verantwortlich. Er sorgt dafür, dass die Kühlkette nicht unterbrochen wird und nur frische Produkte im Regal landen. Für ihn ist die Teilnahme am Projekt ein wichtiger Schritt auf seinem Karriereweg. Er möchte nach der Lehre die Berufsmaturität absolvieren und später selbst Geschäftsführer werden.
„Ich finde es cool, dass wir schon so früh Verantwortung übernehmen können.“ - Ryan Bannwart, Lernender
Unterstützung durch erfahrene Coaches
Obwohl die Lernenden eigenverantwortlich handeln, sind sie nicht allein. Ein Team von drei erfahrenen Coaches steht ihnen zur Seite. Eine von ihnen ist Vera Ergül. Sie greift nur ein, wenn die jungen Leute nicht mehr weiterwissen. „Die Jungen sind total motiviert, helfen einander und fühlen sich verantwortlich“, beschreibt die 42-Jährige die Atmosphäre. „Es ist ein anderer Groove als in einem normalen Coop.“
Die Coaches sind selbst ausgebildete Geschäftsführer oder Stellvertreter und bringen die nötige Erfahrung mit, um das Team zu leiten, ohne ihm die Verantwortung abzunehmen. Ihre Aufgabe ist es, zu beraten und die Entwicklung der Lernenden zu fördern.
Eine Investition in die Zukunft
Coop selbst bezeichnet die Lernenden-Filialen als eine Investition in den Führungsnachwuchs. Der Vorwurf, dass durch den Einsatz von Lernenden mit niedrigeren Löhnen Kosten gespart werden sollen, wird von Unternehmensseite zurückgewiesen.
Markus Brunner von Coop Ostschweiz erklärt, dass das Gegenteil der Fall sei. „Wir betreiben einen sehr grossen planerischen, personellen und finanziellen Mehraufwand für die Lernenden-Verkaufsstellen“, betont er. Die Löhne der Coaches entsprechen denen von Führungskräften, und die Abwesenheiten der Lernenden, beispielsweise wegen der Berufsschule, müssen durch Personal aus anderen Filialen kompensiert werden.
Aufwand statt Einsparung
Laut Coop bleibt der Personalbestand in der Lernenden-Filiale insgesamt gleich wie in einer vergleichbaren Filiale. Der Unterschied liegt in der Zusammensetzung: mehr Lernende und zusätzlich drei hochqualifizierte Coaches. Die komplexe Planung, um die Schulabsenzen auszugleichen, erfordert zudem erhebliche Flexibilität und organisatorischen Aufwand.
Positive Rückmeldungen von Kunden
Das Projekt kommt auch bei der Kundschaft gut an. Eine ältere Dame, die seit über 20 Jahren in der Filiale in Seen einkauft, ist voll des Lobes. „Die jungen Leute sind sehr zuvorkommend“, sagt sie. „Ich finde es wunderbar.“ Sie bemerkt, dass sich die Servicequalität nicht verschlechtert hat, sondern die positive Energie des jungen Teams spürbar ist.
Das Projekt in Winterthur-Seen zeigt, wie praktische Ausbildung im Detailhandel neu gedacht werden kann. Es gibt jungen Menschen die Chance, früh zu lernen, was es heisst, ein Geschäft zu führen – eine wertvolle Erfahrung für ihre berufliche Zukunft.





