Die Familie des elf Monate alten Nevio steht vor grossen Herausforderungen. Nevio leidet an einer seltenen Chromosomenstörung. Seine Mutter Belinda kümmert sich rund um die Uhr um ihn. Die Familie ist mit hohen Kosten konfrontiert und kämpft um Unterstützung. Trotz der Belastungen gibt ihnen Nevios Lachen Kraft.
Wichtige Punkte
- Der elf Monate alte Nevio hat eine seltene Chromosomenstörung.
- Mutter Belinda pflegt Nevio ganztägig, der Vater ist der einzige Verdiener.
- Die IV lehnte eine Hilflosenentschädigung für Nevio ab.
- Die Familie hat einen Spendenaufruf gestartet, um die hohen Kosten zu decken.
Ein Alltag voller Belastungen
Belinda, 29 Jahre alt, beschreibt den ständigen Kampf um finanzielle Mittel als zermürbend. Ihr Sohn Nevio wurde mit einer extrem seltenen Chromosomenstörung geboren. Da Belinda Nevio durchgehend betreut, hängt die Familie vom Einkommen des 31-jährigen Vaters ab.
Neben der emotionalen und physischen Belastung durch Nevios Krankheit kämpft die Familie mit Behörden um finanzielle Unterstützung. Die IV erkannte Nevios Zustand nicht als Geburtsgebrechen an. Belinda äussert sich dazu:
«Wir kümmern uns um unser Kind, dazu kommt die Bürokratie mit ständigen Anträgen. Wir sind erschöpft.»
Faktencheck
- Nevio ist elf Monate alt.
- Er leidet an einer seltenen Chromosomenstörung (Trisomie 7p).
- Die Mutter betreut das Kind rund um die Uhr.
- Der Vater ist Alleinverdiener.
Herausforderungen bereits in der Schwangerschaft
Bereits während der Schwangerschaft zeigten Ultraschalluntersuchungen Auffälligkeiten bei Nevio. Belinda musste alle zwei Wochen zur Kontrolle ins Spital. Sie beschreibt diese Zeit als sehr belastend:
«Für uns war diese Zeit der Horror. Vor allem, weil wir nicht wussten, was dem Kind fehlt.»
Im siebten Schwangerschaftsmonat diagnostizierten Ärzte einen Herzfehler. Dies bot der Familie eine erste konkrete Information. Bei der Geburt zeigten sich jedoch weitere gesundheitliche Probleme: Nevios Ohren sassen tiefer als üblich, seine Finger waren verkrümmt, und er hatte starke Atemprobleme.
Aufgrund seines kritischen Gesundheitszustandes verbrachte Nevio die ersten fünfeinhalb Monate seines Lebens im Spital. Belinda verbrachte fast jede Nacht bei ihrem Sohn. Der Vater, damals noch in Deutschland berufstätig, reiste an den Wochenenden in die Schweiz, um die Familie zu unterstützen.
Hintergrundinformationen
Die Zeit nach der Geburt eines Kindes mit komplexen gesundheitlichen Problemen ist für Familien besonders herausfordernd. Medizinische Unterstützung ist entscheidend, aber auch die soziale und finanzielle Absicherung spielt eine grosse Rolle für das Wohl der Familie.
Die Diagnose: Trisomie 7p
Lange Zeit fehlte eine genaue Diagnose für Nevios Zustand. Erst als er acht Monate alt war, stellten die Ärzte fest, dass er an Trisomie 7p leidet. Dies ist eine äusserst seltene Chromosomenstörung. Belinda berichtet, dass Nevio der erste bekannte Fall in der Schweiz sei. Die genaue Ausprägung und die langfristigen Prognosen sind noch unklar.
Typische Symptome dieser Krankheit sind Herzprobleme, Auffälligkeiten im Gesicht und an den Gliedmassen, eine erhöhte Anfälligkeit für Infektionen und Entwicklungsverzögerungen. Belinda erklärt:
«Wie stark seine geistige Beeinträchtigung ist und ob er einmal laufen oder richtig sprechen kann, wissen wir noch nicht.»
Was bedeutet partielle Trisomie 7p?
Anita Rauch, Direktorin des Instituts für Medizinische Genetik der Universität Zürich, erläutert die partielle Trisomie 7p. Im Gegensatz zu einer eindeutigen Diagnose wie Trisomie 21 bedeutet «partiell», dass nur ein Teil des Chromosoms 7 dreifach statt zweifach vorliegt. Welcher Teil genau betroffen ist, variiert. Solche Fälle sind sehr selten, und oft gibt es keine exakt gleichen Vergleichsfälle.
Fachärzte für Medizinische Genetik untersuchen die genetischen Veränderungen präzise. Sie versuchen, Vergleichsfälle zu finden und mögliche Symptome, Entwicklungsverläufe sowie Prognosen für die Patienten zu bestimmen. Dies ist bei extrem seltenen Krankheiten eine komplexe Aufgabe.
Kampf um die Hilflosenentschädigung
Belinda betreut Nevio ununterbrochen. Die Invalidenversicherung (IV) lehnte den Antrag der Familie auf eine Hilflosenentschädigung ab. Diese Entschädigung soll Menschen finanziell unterstützen, die im Alltag regelmässig Hilfe benötigen. Laut IV erhalten Kinder diese Leistung nur, wenn sie einen deutlich höheren Hilfebedarf haben als gesunde Kinder im gleichen Alter.
Die IV begründete die Ablehnung damit, dass Nevios Zustand diesen Kriterien nicht entspreche. Eine erneute Prüfung sei erst im Jahr 2027 vorgesehen. Belinda widerspricht dieser Einschätzung vehement:
«Nevio ist an einen Monitor angeschlossen, der immer überwacht werden muss. Nachts trägt er eine Beatmungsmaske und bekommt Sauerstoff.»
Zudem leidet Nevio unter wiederkehrenden Infektionen. Belinda beschreibt die Nächte in diesen Zeiten:
«Wenn Nevio krank ist, wacht er jede halbe Stunde auf und schreit. Dann muss ich ihn beruhigen, absaugen oder umlagern, damit er wieder atmen kann.»An Schlaf ist in solchen Nächten nicht zu denken. Da der Vater arbeiten muss, um das Familieneinkommen zu sichern, kann Belinda nicht einfach die Betreuung abgeben. Sie muss manchmal tagelang fast ohne Schlaf auskommen, was sie als sehr anstrengend empfindet.
Kritik am System und finanzielle Engpässe
Obwohl die IV einige Kosten übernimmt, bleibt ein grosser Teil der Ausgaben an der Familie hängen. Nevio benötigt beispielsweise einen speziellen Reha-Buggy und einen angepassten Kindersitz für das Auto. Diese Hilfsmittel wurden zwar bezahlt, doch die Familie musste jeweils einen Selbstbehalt tragen. Belinda kritisiert:
«Das summiert sich jedes Mal. Ich finde, unser System ist kaputt.»
Die finanziellen Mittel reichen nicht aus.
«Jeden Monat sind wir im Minus.»Diese anhaltende Belastung wirkt sich auch stark auf die Beziehung der Eltern aus.
Stellungnahme der IV
Sibylle Siegwart, Mediensprecherin der IV-Stelle Kanton Bern, erklärt, dass nicht alle Krankheiten auf der Liste der Geburtsgebrechen aufgeführt sind. Diese Liste wird vom Bundesamt für Sozialversicherungen festgelegt. Einzelne Symptome, wie Herzprobleme, können jedoch unterstützungsberechtigt sein. Der Anspruch auf Hilflosenentschädigung wird von der IV im Einzelfall geprüft. Siegwart betont, dass man sich bemühe, dies bestmöglich im Sinne der Betroffenen umzusetzen.
Unterstützung für Familien mit seltenen Krankheiten
Manuela Stier, Geschäftsführerin des Fördervereins für Kinder mit seltenen Krankheiten (KMSK), weist auf die Schwierigkeiten hin, die eine Diagnose einer seltenen Krankheit mit sich bringt.
«Die Diagnose einer seltenen Krankheit bringt viele Unsicherheiten, Sorgen und Ängste mit sich.»
Wenn dann keine Hilflosenentschädigung gewährt wird, müssen Familien viele Kosten für Therapien, Hilfsmittel oder spezielle Betreuung selbst tragen. Diese Ausgaben übersteigen oft die finanziellen Möglichkeiten junger Familien. Stier beobachtet, dass viele Familien, die dringend Unterstützung benötigen, durch das Raster fallen.
Wussten Sie schon?
- In der Schweiz leben rund 500'000 Menschen mit einer seltenen Krankheit.
- Etwa 80% der seltenen Krankheiten sind genetisch bedingt.
- Oft dauert es Jahre, bis eine korrekte Diagnose gestellt wird.
Junge Eltern stehen oft erst am Anfang ihres Lebenswegs. Die Geburt eines Kindes mit einer seltenen Krankheit führt zu enormen Umstellungen. Pflege und Betreuung erfordern viel Kraft und Organisation. Viele Eltern geraten dabei an ihre physischen und psychischen Grenzen. Die finanzielle Belastung kommt hinzu, oft muss ein Elternteil das Arbeitspensum reduzieren oder ganz aufgeben.
Stier fordert Verbesserungen bei der Anerkennung seltener Krankheiten, insbesondere bei der Definition von Geburtsgebrechen und dem Zugang zu Hilflosenentschädigungen.
Kleine Fortschritte geben Kraft
Eine Freundin ermutigte Belinda, einen Spendenaufruf zu starten. Die Familie ist sehr dankbar für die eingegangenen Spenden.
«Mit dem Geld können wir Hilfsmittel, Therapien und Krankenkassenrechnungen bezahlen.»Die Spenden reichen jedoch nicht aus, um alle anfallenden Kosten zu decken, besonders angesichts der zukünftigen Ausgaben.
Trotz aller Schwierigkeiten geben Nevios kleine Fortschritte der Familie Mut und Kraft.
«Anfangs wussten wir nicht, wie er sich entwickeln würde», sagt Belinda. Mittlerweile fängt Nevio an zu «babbeln». Er sagt bereits bewusst «Dada» zu seinem Vater und lacht oft.
«Das gibt uns Mut. Ich würde mein Kind nie wieder hergeben.»
Wo betroffene Familien Unterstützung finden
- Kinderspitex Schweiz: Bietet häusliche Pflege für kranke Kinder.
- Pro Pallium: Begleitet Familien mit schwerstkranken Kindern und jungen Erwachsenen.
- Kinderkrebs Schweiz: Unterstützung für Familien mit krebskranken Kindern.
- Intensiv-Kids: Elternvereinigung für Kinder mit Intensivpflegebedarf.
- Förderverein für Kinder mit seltenen Krankheiten (KMSK): Bietet finanzielle Hilfe und ein Netzwerk zum Austausch.
- KMSK Wissensplattform seltene Krankheiten: Eine Informationsquelle für Betroffene.
- Dargebotene Hand (Tel. 143): Sorgen-Hotline für Menschen in Not.
Auf der Plattform GoFundMe sammelt Belinda Spenden, um die Pflege ihres Kindes zu finanzieren. Eine Übersicht weiterer Anlaufstellen finden Sie auf der Wissensplattform des KMSK unter www.wissensplattform.kmsk.ch.





