Am 30. November steht im Kanton Zürich eine entscheidende Abstimmung an, die die Verkehrspolitik der Städte Winterthur und Zürich massgeblich beeinflussen könnte. Die kantonale Mobilitätsinitiative fordert, die Kompetenz für Geschwindigkeitsbegrenzungen auf Hauptstrassen vom Kanton zu übernehmen und Tempo 30 innerorts nur noch in Ausnahmefällen zuzulassen. Diese Initiative stösst auf geteilte Meinungen, insbesondere im Hinblick auf Sicherheit und Kosten.
Wichtige Punkte
- Die Mobilitätsinitiative verlagert die Kompetenz für Tempolimits auf Hauptstrassen zum Kanton.
- Befürworter sehen mehr Sicherheit und Lärmschutz durch Tempo 30, Gegner befürchten Zeitverlust für Blaulichtorganisationen und hohe Kosten.
- Ein Hauptstreitpunkt sind die Mehrkosten für den öffentlichen Verkehr, die durch längere Fahrzeiten entstehen könnten.
- Die Stadt Winterthur plant trotz der Initiative weitere Tempo-30-Projekte, unter anderem an der Tösstal-, Zürcher- und Wülflingerstrasse.
Kompetenzstreit zwischen Stadt und Kanton
Die Abstimmung über die Mobilitätsinitiative am 30. November ist mehr als nur eine Frage der Geschwindigkeit. Es geht um die Verteilung der Kompetenzen zwischen den Grossstädten Zürich und Winterthur und dem Kanton Zürich. Aktuell können die Städte auf Kantonsstrassen, auch Staatsstrassen genannt, selbstständig über Tempolimits entscheiden. Die Initiative will dieses Privileg aufheben und die Entscheidungsbefugnis für Tempolimits auf Hauptstrassen dem Kanton übertragen.
Sollte die Initiative angenommen werden, würden die Hürden für die Einführung von Tempo 30 auf Winterthurer Hauptachsen, wie der Zürcher- oder Wülflingerstrasse, deutlich höher. Die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h auf innerstädtischen Hauptstrassen könnte künftig nur noch in «Ausnahmefällen über kurze Strecken» reduziert werden. Regierungs- und Kantonsrat unterstützen die Initiative, im Parlament fiel die Entscheidung jedoch knapp aus. Die Städte Zürich und Winterthur haben ein Gemeindereferendum ergriffen, was zur kantonalen Abstimmung führt.
Faktencheck Mobilitätsinitiative
- Abstimmungsdatum: 30. November
- Ziel: Kompetenz für Tempolimits auf Hauptstrassen zum Kanton verlagern.
- Auswirkung: Erschwert die Einführung von Tempo 30 auf Hauptachsen in Städten.
- Befürworter: SVP, FDP, Die Mitte (kantonal).
- Gegner: AL, SP, Grüne, GLP, EVP (in Winterthur).
Sicherheit im Fokus: Blaulichtorganisationen warnen
Einer der zentralen Streitpunkte in der Debatte ist die Sicherheit. Beat Hirter, Präsident des kantonalen Feuerwehrverbandes, äusserte sich besorgt über die Auswirkungen von Tempo 30 auf die Einsatzzeiten der Blaulichtorganisationen. Er schätzt, dass die Feuerwehr und die Ambulanz in bis zu 30 Prozent der Fälle die gesetzlich vorgeschriebene Eintreffzeit von zehn Minuten nicht mehr einhalten könnten.
«In einem Notfall nimmt die Lebenserwartung eines Schwerverletzten mit jeder Minute um 10 Prozent ab.»
Hirter betonte, dass auch bei Bränden jede Minute zählt, um Schäden und Kosten zu minimieren. Ein Zuhörer wies jedoch darauf hin, dass für Blaulichtorganisationen Ausnahmen von Tempolimits gelten, solange sie mit der gebotenen Sorgfalt fahren. Hirter bestätigte dies, wies aber darauf hin, dass es keinen Freipass gebe und intern eine Faustregel von maximal 20 Prozent über dem Limit gelte. Er rechnet mit einem Zeitverlust von rund fünf Minuten pro Einsatz bei Tempo 30.
Stadtrat Christian Maier (FDP) unterstrich diese Sorge und erklärte, dass es mit Tempo 30 schlicht länger dauern werde, bis die Rettungskräfte vor Ort sind. Reto Diener (Grüne) hielt dem entgegen, dass Tempo 30 die Strassen sicherer mache und nachweislich zu weniger schweren Unfällen und somit auch zu weniger Rettungseinsätzen führe. Dies würde wiederum Kosten senken.
Hintergrund: Lärmschutz und Sicherheit
Die Diskussion um Tempo 30 ist oft eng mit Lärmschutz und Verkehrssicherheit verbunden. Studien zeigen, dass eine Reduzierung der Geschwindigkeit zu einer Verringerung des Verkehrslärms und der Unfallschwere führt. Insbesondere bei Kollisionen mit Fussgängern oder Velofahrern kann Tempo 30 die Überlebenschancen deutlich erhöhen. Die Einhaltung von Lärmschutzgrenzwerten ist zudem gesetzlich vorgeschrieben und ein wichtiger Faktor für die Lebensqualität in städtischen Gebieten.
Kostenfrage: Wer trägt die Mehrbelastung?
Ein weiterer zentraler Diskussionspunkt sind die finanziellen Auswirkungen einer flächendeckenden Einführung von Tempo 30. Werner Schurter von der Winterthurer Verkehrslobby Agil-mobil nannte das Beispiel der Tösstalstrasse, wo die geplante Geschwindigkeitsreduktion die Einführung eines zusätzlichen Busses auf der Linie 2 erfordern würde. Die geschätzten Mehrkosten hierfür belaufen sich auf 428'000 Franken pro Jahr. Stadtweit könnten die Kosten laut Schurter bis zu 6 Millionen Franken erreichen.
Die Frage, wer diese Kosten letztlich trägt, blieb im Podium offen. Der Zürcher Verkehrsverbund (ZVV), der die Leistungen des Stadtbusses bestellt, finanziert sich aus verschiedenen Quellen. Etwa die Hälfte der jährlichen Einnahmen stammt aus dem Verkauf von Billetten und Abos. Das verbleibende Defizit teilen sich Kanton und Gemeinden.
«Letztlich zahlen immer wir. Die volkswirtschaftlichen Kosten, die längere Transportzeiten verursachen, sind in der Summe riesig.»
Maier schlug als Alternative zu Tempo 30 sogenannte Flüsterbeläge vor, die seiner Meinung nach viel effektiver den Strassenlärm reduzieren würden. Diener entgegnete, dass es beides brauche, um die Lärmschutzgrenzwerte einzuhalten. Er betonte, dass die Investition in Tempo 30 sich lohne, um einen ruhigeren, sichereren, umweltverträglicheren und flüssigeren Verkehr zu gewährleisten. «Wir wollen niemandem das Auto verbieten!», stellte Diener klar.
Winterthurer Projekte und politische Vorwürfe
Die Stadt Winterthur verfolgt weiterhin ihre Pläne zur Einführung von Tempo 30 auf Hauptstrassen. Gemäss den Zielen der Stadt soll bis 2040 auf einem Grossteil der Hauptachsen Tempo 30 gelten. Das Projekt Tösstalstrasse ist das erste, das öffentlich aufliegt und eine längere Hauptstrassenstrecke betrifft.
Der Zürcher Automobil-Club der Schweiz (ACS) warf der Stadt vor, «möglichst viele Tempo-30-Strecken festzuschreiben», um der Mobilitätsinitiative zuvorzukommen. Das Departement Bau und Mobilität der Stadt Winterthur weist diesen Vorwurf zurück. Im Rahmen des Sanierungsprojekts für die Tösstalstrasse sei ein «akustisches Projekt» erstellt worden. Dieses habe ergeben, dass 3555 Personen aus 166 Liegenschaften übermässig von Verkehrslärm betroffen sind. Die Ausweitung der Tempo-30-Zone soll rund 1500 Personen zusätzlich schützen.
Die nächsten geplanten Tempo-30-Projekte betreffen die Zürcher- und die Wülflingerstrasse. Diese werden derzeit vom Bauamt bearbeitet und dürften ebenfalls für Diskussionen sorgen. Livia Merz (SP) erinnerte daran, dass der gesetzlich verpflichtende Lärmschutz ein wesentlicher Treiber für Tempo 30 auf Hauptstrassen sei – eine Verpflichtung, die auch der Kanton umsetzen müsse.
- Tösstalstrasse: Erste längere Hauptachsenstrecke mit geplanter Tempo-30-Zone.
- Betroffene Personen: 3555 Personen von übermässigem Lärm betroffen, 1500 sollen geschützt werden.
- Nächste Projekte: Zürcher- und Wülflingerstrasse in Bearbeitung.
Die Abstimmung am 30. November wird weitreichende Konsequenzen für die zukünftige Verkehrsplanung in Winterthur und anderen Städten des Kantons Zürich haben. Die Debatte um Sicherheit, Kosten und die Kompetenzverteilung bleibt bis dahin intensiv.





